Grenchner Ärzte wollen weiterhin selber Medikamente abgeben

In Plastikfolien-Säcklein und beschriftet: Immer mehr Pflege- und Altersheime lagern das Bereitstellen der Medikamente an spezialisierte Firmen aus. So auch in Grenchen, wo die Hausärzte künftig weniger verdienen, weil sie die Tabletten nicht mehr selber abgeben dürfen.

, 19. Dezember 2018 um 09:52
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Immer häufiger lagern Alters- und Pflegeheime eine aufwändige Arbeit an eine andere Firma aus: Das Bereitstellen von Medikamenten für ihre Bewohner. Das Pflegepersonal in solchen Einrichtungen muss pro Bewohner in der Regel ein halbes Dutzend oder mehr verschieden Tabletten rüsten.
Das kann zu Verwechslungen führen und ist teuer. Alleine für die Bereitstellung und die Kontrolle der Medikamente benötige man in den beiden Zentren knapp eine Vollzeitstelle. Jüngst haben deshalb auch die Alterszentren Grenchen beschlossen, diese Arbeit auszulagern, wie die «Solothurner Zeitung» meldete.

25 Hausärzte dürfen nicht mehr abgeben

Bis jetzt haben die jeweiligen Hausärzte ihren Patienten in den beiden Zentren Kastels und im Weinberg die Medikamente verschrieben. Ab nächstem März soll der Pflegedienst die Medikamente aber nicht mehr über die Ärzte beziehen. Künftig erhält das Personal für jeden Bewohner ein Plastiksäcklein, in welchem der Medikamentem-Mix fertig bereits fertig abgepackt ist.
Zu diesem Zweck arbeiten die Alterszentren mit der Coop Vitality Apotheke zusammen, die wiederum mit der Oensinger Firma Medifilm zusammenspannt. Gar nicht erfreut über diese neue Zusammenarbeit sind die betroffenen rund 25 Hausärzte. Sie  verdienen künftig weniger, weil sie die Medikamente nicht mehr selber abgeben und damit auch keinen Gewinn mehr darauf erzielen können.
Hausarzt Thomas Fluri findet die Auslagerung ausserdem unsinnig. «Eigentlich ist der politische Wille da, die Grundversorgung durch Hausärzte zu stärken, aber man erreicht mit einem solchen Systemwechsel das Gegenteil», wird er in der «Solothurner Zeitung» zitiert.

Kurzfristige Änderungen werden schwierig

Statt dass die Abläufe einfacher seien, würde es komplizierter und für die Patienten gefährlicher. Kurzfristige Änderungen der Medikation seien nämlich schwierig, wenn die Medikamente auf eine Woche hinaus vorbestellt werden müssten. Thomas Fluri glaubt auch nicht ans Sparpotenzial der neuen Lösung: Es gebe einfach neue Firmen, die auch etwas verdienen möchten. Billiger werde die Medikamenten-Bereitstellung dadurch aber nicht.
Ein weiterer Hausarzt moniert, das System sei fehleranfällig, weil es künftig drei unterschiedliche Medikamentenlisten gebe: die des Arztes, die der Alterszentren in ihrem elektronischen Dossier und die der Apotheke, die bei «Medifilm» die Bestellungen mache.

Die Medikamenten-Abfüller

Das Geschäft mit dem Bereitstellen von Tabletten ist ein Wachstumsmarkt. Eine Auswertung des Krankenversicherers Helsana hat ergeben, dass Heimbewohner ab 65 Jahre im Schnitt pro Tag 9,3 unterschiedliche Medikamente einnehmen. Das individuelle Zusammenstellen dieser Tabletten ist für das Pflegepersonal ein grosser Aufwand.
In Firmen wie der Medifilm werden die Medikamente deshalb maschinell gerüstet und in Säcklein abgepackt. Die aneinandergereihten Portionenbeutel sehen aus wie gerollte Filmstreifen. Jeder Portionenbeutel ist beschriftet mit dem Namen des Patienten, dem Einnahmezeitpunkt, der Art und der Anzahl sowie der optischen Beschreibung der Tabletten.
Für jeden Einnahmezeitpunkt gibt es einen eigenen Beutel. Der Fachbegriff für diese Form des Rüstens von Medikamenten heisst: Patientenindividualisierte Verblisterung.
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