Man kann von der gestern vermeldeten
Aufwertung der Komplementär- und Alternativ-Medizin ja halten, was man will: Klar wurde dabei wieder einmal, dass wir es hier mit
Big Business zu tun haben. Und wer sich über Doppel-Standards aufregen will, muss einfach anerkennen, dass in der Schweiz letztlich das Volk diese «andere» Art der Medizin abgesegnet hat und offenbar – irgendwie – mehrheitlich daran glaubt.
Auf einen nicht unbedeutenden Aspekt verweisen nun Forschungsergebnisse, die jetzt gerade in «Jama Internal Medicine» veröffentlicht wurden: Wie verbindet man denn nun Schul- und Alternativ-Medizin? Es geht darum, dass die beiden zwar offenbar gut nebeneinander her laufen – aber nichts miteinander zu tun haben.
Eine Kernfrage dazu lautet: Wie reden die Patienten mit ihrem Hausarzt über Alternativmedizin?
Genau dieser Frage gingen Judy Jou und Pamela Jo Johnson nach, zwei Ärztinnen der University of Minnesota; sie werteten dafür die Befragung von knapp 7'500 Menschen in den USA aus.
Judy Jou, Pamela Jo Johnson: «Nondisclosure of Complementary and Alternative Medicine Use to Primary Care PhysiciansFindings From the 2012 National Health Interview Survey», in: «JAMA Internal Medicine», März 2016.
Heraus kam ein Bild der Sprachlosigkeit. Rund ein Drittel der Erwachsenen nutzen irgend eine Methode der Alternativ- oder Komplementärmedizin – aber dies wird nicht mit den schulmedizinischen Verfahren in Verbindung gebracht.
Zwar wünschen die Patienten in ihrer grossen Mehrheit, dass ihr Hausarzt sie nach ihren komplementärmedizinischen Anwendungen fragen würde; und sie schätzten es auch, wenn der Mediziner sie an Therapeuten wie den Akupunkteur oder den Osteopathen weiterleiten würde.
Die Ärzte fragen gar nicht danach
Allein: Solche Gespräche kommen gar nicht erst auf. Als klarstes Ergebnis von Jou und Johnson erscheint, dass die Alternativ-Medizin in der Arztpraxis tabu ist.
In ihrer klaren Mehrheit wagen es die Patienten nicht, das Thema aufzubringen, weil sie fürchten, dass ihr Arzt dagegen sein könnte. Und in der ebenso klaren Mehrheit fragen die Ärzte auch nicht nach, ob jemand Yoga, Meditation, Homöopathie oder irgendwelche Kräutermethoden anwendet.
Chance für die Kundenbindung
Im Kern steht dabei offenbar eher Desinteresse als offene Gegnerschaft. Denn gewiss – die meisten Patienten fürchten, dass ihr Arzt ihre eigene Heil-Methode ablehnen würde. Doch in weniger als 3 Prozent der Fälle sagten die Patienten aus, dass sich tatsächlich feindlich dazu geäussert hatte.
Dieses Desinteresse der Ärzteschaft erklärt sich wohl daraus, dass die schulmedizinischen Profis einfach keine Kreuz- und Nebenwirkungen befürchten: Nützt nix, schadet auch nix, muss mich nicht kümmern. Allerdings liessen sich die Ergebnisse aus «JAMA Internal Medicine» auch positiv deuten – nämlich als Chance fürs Gespräch mit den Patienten und damit wohl auch für die Kundenbindung. Wenn ein Arzt diese Aspekte erlaubt und ermöglicht, würde dies offenbar schon geschätzt von einer grossen Patientengruppe.