Post-Covid: «Die Experten fordern einen nationalen Forschungsschwerpunkt»

Ende März begrüsste Carlos Quinto, Zentralvorstand der FMH, Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachrichtungen an einer Post-Covid-Plattform. Im Interview spricht der Arzt über die neuen Erkenntnisse.

, 7. April 2022 um 05:37
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Carlos Beat Quinto, Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortlicher Public Health und Gesundheitsberufe. |  FMH  
Kopfschmerzen, Husten, Geschmacksverslust aber auch Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Atembeschwerden oder Kognitive Störungen: Die Post-Covid-19-Erkrankung ist durch zahlreiche Symptome gekennzeichnet und manifestiert sich unterschiedlich stark bei den betroffenen Patientinnen und Patienten. Weil die Langzeitfolgen von Covid-19 noch wenig erforscht sind, stellen sie die Ärzteschaft vor grosse Herausforderungen. 
Um Erfahrungen in der Praxis und in der Forschung auszutauschen, trafen sich zahlreiche Schweizer Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachrichtungen Ende März an einer Tagung; angeleitet von Carlos Quinto, Zentralvorstand der FMH, und von Anne Lévy, Direktorin des BAG. Treffpunkt war die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) und vom Berufsverband Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) geschaffene Post-Covid-Plattform. 

Diagnostik soll einheitlich werden 

Ziel der Veranstaltung war es, Grundlagen für eine schweizweit einheitliche Diagnostik und Falldefinition zu schaffen, sowie die Therapie und Behandlung von Post-Covid-19-Erkrankten zu optimieren.
In einem Gespräch mit Medinside, erklärt Carlos Beat Quinto, Mitglied des FMH-Zentralvorstandes sowie Verantwortlicher des Departements Health und Gesundheitsberufe, zu welchen Erkenntnissen der Wissensaustausch führte und welche Massnahmen getroffen wurden. 
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Sie koordinierten die Tagung (von links): Linda Nartey, Vizedirektorin Bundesamt für Gesundheit; Carlos Quinto, Mitglied des FMH-Zentralvorstandes; Chantal Britt, Präsidentin Patientenorganisation Long Covid Schweiz; Mayssam Nehme, Cheffe de clinique, Service de médecine de premier recours - HUG; Consultation Post-COVID; Professor Jan Fehr, Universität Zürich, Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention, Department Public Health. (zvg)

Herr Quinto: Post-Covid beschäftigt die Ärzteschaft weltweit. Kam es bei der Tagung zu neuen Erkenntnissen?

Eines vorweg: Die Absicht der Tagung lag darin, alle Akteure auf den aktuellen Wissensstand zu bringen. Eine neue Erkenntnis ergab sich gegen Tagungsschluss: Von allen beteiligten ärztlichen Fachorganisationen und weiteren Gesundheitsberufen wie Physiotherapeuten oder Ergotherapeuten wie auch von Seiten der Patientenorganisationen wird ein nationaler Forschungsschwerpunkt, kurz NFS, gefordert. 

Unterstützt die FMH diese Forderung?

Ja, die FMH unterstützt dieses Anliegen, weil Post-Covid das Potenzial hat, zu einer relevanten Ressourcenbeanspruchung, sprich Krankheitslast im Gesundheitswesen zu führen und auch das Sozialsystem inklusive Versicherungen zu belasten. Deshalb ist es entscheidend, bereits jetzt ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu haben und das nötige Fachwissen zu generieren. Die Schaffung einer nationalen Kohorte und eines Registers scheinen aus unserer Sicht angezeigt.

Jetzt ist aber Omikron bekannt für mildere Verläufe. Führen die beiden Varianten BA.1 und BA.2 gleichermassen zu Post-Covid wie Delta? 

Bereits bei Delta wurden unabhängig von der Schwere des anfänglichen Krankheitsverlaufs Post-Covid-Symptome festgestellt. Somit ist auch bei Omikron von Post-Covid-Fällen auszugehen. Allerdings kann dies zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschliessend beantwortet werden, da gemäss Definition der WHO zwei Kriterien erfüllt sein müssen: die Beschwerden müssen mindestens drei Monate nach Infektion bestehen und die Symptome während mindestens zwei Monaten anhalten.

Sind die Hauptsymptome Müdigkeit, Kurzatmigkeit und Atembeschwerden sowie Kognitive Störungen bei Delta und Omikron gleich?

All diese Symptome können sowohl bei Delta wie auch bei beiden führenden Omikron-Varianten auftreten, wobei die Krankheitsverläufe bei Omikron leichter sind und zu weniger Hospitalisationen auf den Intensivstationen führen.

In der Regel klingen die Symptome mit der Zeit ab. Im Jahr 2021 kam es im Kanton Zürich zu 13’800 IV-Anmeldungen mit einem Bezug zu einer Covid-Erkrankung. Ist es aus ärztlicher Sicht realistisch, dass Long-Covid allein zur totalen Arbeitsunfähigkeit führen kann?

Aufgrund der an der Plattform präsentierten Daten ist bei schweren Verläufen eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit allein aufgrund von Post-Covid möglich.

Welche Grundlagen für eine einheitliche Diagnostik und Falldefinition wurden an der Tagung geschaffen?

Es wurden mehrere Falldefinitionen präsentiert. Aufgrund dieser Präsentationen wird eine Arbeitsgruppe an einer einheitlichen Falldefinition in Anlehnung an bestehende internationale und nationale Definitionen arbeiten.
Selbstverständlich wird es unterschiedliche Herangehensweisen geben hinsichtlich der Allgemeinen Inneren Medizin (Hausarztmedizin), der eine koordinierende Funktion zukommen wird, und den Spezialdisziplinen, die abhängig von den jeweiligen Beschwerden der Patientinnen und Patienten involviert sein werden.
Carlos Beat Quinto, Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortlicher Public Health und Gesundheitsberufe.

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