«Weiter ‹herumdoktern› bringt nichts»

Für die Chefin des bernischen Spitalamts ist die Fallfinanzierung im Gesundheitswesen gescheitert. Sie plädiert für einen tiefgreifende Systemwechsel.

, 15. August 2018 um 08:30
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Auch sechs Jahren nach der landesweiten Einführung der Fallpauschalen in der Akutsomatik wird weiter an der Justierung des Systems gearbeitet. Kritische Stimmen zum System nehmen zu. So sagte diese Woche etwa der freisinnige Zürcher Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger, das System habe zwar zu qualitativ besseren aber - anders als erwartet - nicht zu günstigeren Behandlungen geführt. Heiniger regte Korrekturen bei der Tarifausgestaltung an. 
Zu wenig weit gehen solche Vorschläge Annamaria Müller. Als Vorsteherin des bernischen Spitalamt steuert sie das Spitalwesen im zweitbevölkerungsreichten Kanton. Um die Mängel im aktuelle System zu beheben, reichten die derzeit ergriffenen Massnahmen bei weitem nicht aus, sagt Müller. Weiter «herumdoktern» bringe nichts. Sie plädiert im Gespräch mit «Medinside» für eine Systemwechsel - weg von der aktuellen Leistungsfinanzierung hin zu einer Versorgungsfinanzierung. In einem solchen System werden die Anbieter für das Erbringen von zuvor definierten Dienstleistungen - so etwa Behandlungen, Eingriffe, Betrieb inklusive den Vorhalteleistungen - pauschal bezahlt. Im aktuellen System wird demgegenüber jeder Eingriff einzel vergütetet - das Geld für Betrieb der Spitäler ist in diesen Fallpauschalen enthalten.
«Unterversorgungen wegen fehlender Vergütung»
«Im aktuellen System gibt es gewichtige Fehlanreize», sagt die bernische Spitalamtchefin Müller. Dies aus ihrer Sicht in folgenden drei Bereichen:
  • Wenn Leistungen einzeln abgegolten werden, sorgt dass bei Eingriffen mit positivem Deckungsbeitrag stets für eine Mengenausweitung und folglich zu einer Überversorgung.
  • Demgegenüber kommt es in Bereichen, die nicht vergütet werden, zu Unterversorgungen. Dies etwa bei den Vorhalteleistungen und bei Koordinationsaufgaben, wie sie für eine Integrierte Versorgung notwendig wären.
  • Weil nicht in allen Bereichen dieselben Vergütungssysteme existieren, kommt es zudem zu Fehlverorgungen.

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Ist als Spitalamtchefin seit fast zehn Jahren für die Entwicklungen im bernischen Spitalwesen verantwortlich: Annamaria Müller. I zvg
Anreiz für Prävention
Müller schweben deshalb Gesundheitsversorger vor, die alle medizinischen Dienstleistungen abdecken. Bezahlt würden sie jährlich mit einer Kopfpauschale pro eingeschriebenem Mitglied. Alle Einwohnerinnen und Einwohner müssten sich dazu einem Gesundheitsversorger anschliessen; ein Wechsel wäre möglich. Als Praxisbeispiel nennt Müller Israel. Als Vorbild für die Schweiz könne der Mittelmeerstaat aber nicht dienen, da die Rahmenbedingungen in den beiden Ländern zu unterschiedlich seien.
Müller ist überzeugt: Mit einer solchen Versorgungsorientierung könnten zum einen Unter- und Überversorgung besser begegnet werden. In einem solchen System werde zudem auch ein starker Anreiz geschaffen, um nachhaltige Behandlungen durchzuführen. «So macht es für die Versorger plötzlich Sinn, viel stärker auf Modelle mit integrierter und überlokaler oder gar überregionaler Versorgung zu setzen», sagt Müller. Und anders als im aktuellen ‹Reparatursystem› komme der Prävention ein viel wichtiger Stellenwert zu. Schliesslich müssten dieselben Versorger alle Behandlung im Rahmen des Gesamtbudgets durchführen. Und gebe es heute für reine Spitalgruppen mit vorhandenen Betten den Anreiz, die Verlagerung in den ambulanten Bereich zu bremsen, würden Globalversorger künftig automatisch die kostengünstigste Behandlungsmethode wählen. «Von all dieses Neuerungen könnten die Patienten und Kostenzahler gleichermassen profitieren.»
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