Wenn die Nachtwache 1000 Kilometer entfernt ist

Mehr Effizienz, flächendeckendere Betreuung – und am Ende gar ein Hilfsmittel gegen die Pflegenot? In den USA startete das grösste Telemed-Zentrum der Welt seine Anlagen. Von dort werden tausende Spitalpatienten zentral überwacht.

, 7. Oktober 2015 um 13:00
image
  • trends
  • spital
  • pflege
Es wird Nacht, die Pflegerin wirft noch einen Blick auf den Patienten und prüft seine Werte. Am Ende teilt ihm mit, dass sie immer wieder mal vorbeischauen werde – kurz: Es ist ein ganz normaler Ablauf in einem Spital. 
Nur etwas erscheint ungewohnt: Spital und Pflegerin sind gut 1'000 Kilometer voneinander entfernt.
Das Krankenhaus befindet sich in Arkansas, die Betreuerin arbeitet in Chesterfield, Missouri. Sie sitzt vor einem Kranz von Screens – es ist ein Bild, das eher an den Devisenhandelsraum einer Grossbank erinnert als an medizinische Pflege. 
Eine neue Konzentrations-Stufe
Und eine hochtechnisierte Sache ist es in der Tat: Das «Mercy Virtual Care Center», das diese Woche eröffnet wird, ist das grösste Telemedizin-Zentrum der Welt. Es bietet die bekannten Telemed-Angebote – das Besondere ist aber, dass die Anlage auch als eine Art Riesen-Backup für Spitäler dient.  
Zu Beginn werden 2'400 Betten überwacht. 35 Spitäler im Herzen der USA haben sich dem «Virtual Care Center» angeschlossen, errichtet für 54 Millionen Dollar am Stadtrand der Südstaaten-Metropole St. Louis. Was sich hier zeigt, ist eine neue Konzentrations-Stufe im Bereich der Telemedizin. Denn hier wird den angeschlossenen Spitälern aus der Ferne auch spezialisiertes Know-how geboten. 
Eine Pflegerin zum Beispiel nur für Schlaganfall-Patienten zuständig – dies allerdings in 28 Krankenhäusern in vier US-Bundesstaaten. Mit allen steht sie in direktem Tele-Kontakt, und im Hintergrund zur Verfügung steht ein Neurologe, der kurzfristig zu Rate gezogen werden kann.
Das Telemed-Zentrum der Welt beschäftigt 300 medizinische Fachpersonen – Ärzte, Pflegepersonal, Therapeuten –, und es wurde errichtet von der Spitalgruppe Mercy. Dahinter steht eine katholisch fundierte Stiftung, zu der 35 Spitäler im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten gehören.
image
Der Patient im Gespräch…
Irritierend mag sein, dass die Patienten per Kamera überwacht werden: «Big Brother is watching you» – dieser Spruch kommt einem da schon recht nahe. Doch die Mercy-Verantwortlichen liefern dazu eine bemerkenswerte Erkenntnis: Weil die Tele-Pfleger in St. Louis nicht einfach beobachten, sondern mitreden, sei die Akzeptanz da. 
Es sei ein Schlüsselmoment gewesen, als man begonnen habe, aus der Ferne via Bildschirm Kontakt aufzunehmen zu den Patienten, sagte der medizinische Leiter der Mercy-Gruppe gegenüber dem Fachorgan «Health Leaders Media». Dasselbe auch beim Personal vor Ort: Die Telemed-Experten, so Christopher Veremakis, seien plötzlich keine fremden Besserwisser aus der grossen Stadt mehr gewesen, «sondern wir kannten die Leute per Vornamen, und wir waren einfach zusätzliche Lieferanten, die – wie sie – die ganze Nacht wach sind, um die Patienten zu betreuen.»
Dies sei der Punkt gewesen, wo das Telemed-Team von Aussenseitern zu einem Teil des Teams wurde und sich die Akzeptanz zu entwickeln begann. 
image
…mit dem Pflegepersonal (Bilder: PD/Vimeo)
Mehr:
«Mercy debuts new $54 million virtual care center», in: «St. Louis Post-Dispatch»«Mercy Health Opens Virtual Care Center Dedicated to Telehealth», in: «Healthcare Informatics»
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

So wird KI fit für die klinische Routine

Vivantes integriert mit clinalytix KI in die täglichen Behandlungsprozesse

image

GZO Spital Wetzikon: Definitive Nachlassstundung bewilligt

Damit wird dem Spital Wetzikon die benötigte Zeit eingeräumt, um das Sanierungskonzept anzugehen.

image

Das MediData-Netz: Damit alle profitieren

Die Digitalisierung im Gesundheitssystem ist dringend und bringt Vorteile für Health Professionals und Patient:innen. Die Standardisierung des Forums Datenaustauschs ermöglicht eine sichere Vernetzung und effiziente Prozesse. Das MediData-Netz ermöglicht die schnelle Implementierung neuer Lösungen.

image

Gesundheitsfördernde Materialien gesucht?

Die Wahl passender Materialien ist bei Neu- und Umbauten eine grosse Herausforderung – auch im Gesundheitsbereich. Denn diese müssen unterschiedlichen und hohen Anforderungen gerecht werden. Nicht immer ist das jahrelang Eingesetzte die beste Wahl und neue Alternativen haben es schwer.

image

Spitäler Schaffhausen: Gesamterneuerung teurer, Kosten bei 330 Millionen Franken

Dabei soll der Kanton insgesamt 130 Millionen Franken beitragen.

image

Advanced Practice: MSc Physiotherapie an der BFH

Um die Anforderungen an erweiterte Rollen in der Physiotherapie zu erfüllen, braucht es wissenschaftlich fundierte Expertise. Hier setzt das Master-Studium Physiotherapie der BFH an. Im Herbst 2025 startet die nächste Durchführung mit den Schwerpunkten Neurologie, Professionsentwicklung und Sport.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.