«Wir müssen Sterbende oft verlegen, weil die Fallpauschale aufgebraucht ist»

Die Fallpauschalen sorgen in der Palliativmedizin für Probleme.

, 1. Februar 2019 um 12:09
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Kaum jemand beschäftigt sich gerne mit den eigenen letzten Lebenstagen und ‑stunden. Dennoch wünschen sich wohl alle, dass diese dereinst angenehm und ruhig sein mögen. Eine hektische, stressige Spitalverlegung ohne Not gehört da definitiv nicht dazu. Doch genau eine solche Verlegung mitten im Sterben entspricht häufig einer Realität. Der Grund: das DRG-System.
«In der Palliativmedizin haben wir ein grosses Problem», sagte der Basler Spitalplaner Thomas von Allmen letzte Woche am DRG-Forum in Bern. Die Spitäler behielten Palliativpatienten so lange bei sich, bis die Fallpauschale ideal ausgenutzt sei. Dann werde verlegt. Sprich, einzig aus monetären Gründen kommt es kurz vor dem Tod häufig noch einmal zu einer Verlegung.
Problem ist schon länger bekannt
Beim schweizerischen Patientenschutz (SPO) ist das Phänomen «schon lange bekannt». Geschäftsführerin Barbara Züst sagt, die Verlegungen hätten für  den sterbenden Menschen und dessen Angehörigen «grossen Stress» zur Folge.  Es sei aber schwierig, etwas gegen die Praxis zu unternehmen. Denn man könne solche Fälle nicht belegen. «Es wird dann jeweils ein anderer Grund für die Verlegung angegeben.»
Was sagen die Anbieter dazu? Mehrere haben auf die Fragen von Medinside zu diesem heiklen Thema nicht geantwortet. Anders das Unisversitätsspital Zürich. Stefan Obrist, Leiter des Kompetenzzentrums Palliative Care, gibt transparent Auskunft. Er bestätigt, dass die «Abrechnung nach DRG  in der Palliative Care eine Herausforderung darstellt». Man bemühe sich, jeden Fall individuell zu behandeln und gegen das Lebensende so wenig Interventionen wie möglich vorzunehmen. Doch das DRG-System verhindere oft massgeschneiderte Lösungen für jeden Patienten.
Macht schwierige Situation noch schwieriger
Die Situation für die Patienten sei schon grundsätzlich schwierig, weil keine Besserung mehr in Sicht sei, ja nicht einmal Hoffnung auf einen stabilen Zustand besteht. «Doch diese vulnerablen Patienten müssen wir oft verlegen, weil die Fallpauschale aufgebraucht ist.»
Im USZ werden Patienten und Angehörige deshalb bereits beim Übertritt auf die Palliativstation darüber informiert, dass der Aufenthalt auf der Palliativstation zeitlich beschränkt ist. Wenn der Patient zum Sterben nach Hause möchte und kann, beginnt gleich die Planung. Für den Fall, dass es länger dauert, bis ein Patient stirbt, er aber nicht Hause kann, suche man Anschlusslösungen, so Obrist. «Es gehört für uns zu den schwierigsten Aufgaben, dem Patienten und seinen Angehörigen dies zu erklären.» Bei den Nachbefragungen von Angehörigen werde dies auch häufig als einziges beanstandet.
Kleiner Spitäler können nicht auf gute Anschlusslösungen warten
Als grösseres Spital habe man es sich auch bei aufgebrauchter Fallpauschale erlauben können, Patienten stets so lange im Spital zu behalten, bis eine «einigermassen befriedigende Anschlusslösung» gefunden werden konnte, sagt Obrist vom USZ. Doch kleiner Spitäler fehlten dazu manchmal schlicht die monetären Mittel.  Doch so oder so sei die Palliativmedizin ein Verlustgeschäft. «Ein Spital, dass sich ausschliesslich an betriebswirtschaftlichen Vorgaben orientieren würde, müsste die Palliativstation so rasch wie möglich schliessen», so Obrist.
Auf der Palliativstation des USZ versterben zwischen 50 und 60 Prozent der Patientinnen und Patienten. Vom Rest tritt die eine Häfte nach Hause aus, die andere Hälfte wird in Pflegeinstitution verlegt.
«Verlegungen sind unethisch»
Neben Spitäler bieten etwa auch Hospize palliativmedizinische Angebote an. Die meisten rechneten bisher wie die Heime über die Pflegefinanzierung ab. Manche haben auch Spitalstatus. So etwa das Hospiz im Park in Arlesheim. Auch Heike Gudat, Chefärztin und ärztliche Direktorin, sagt, dass Aufenthalte unterfinanziert seien. Je länger der Aufenthalt dauere, umso defizitärer werde er. Dennoch ist Gudat überzeugt, dass auch im DRG-Modell Verlegungen nicht notwendig seien. «In unserer Palliativklinik sind rund 20 Prozent der Patientinnen und Patienten länger als 2 Wochen hospitalisiert.» Man erlebe keine Widerstände von Seiten der Kostenträger, die Zusammenarbeit sei diesbezüglich konstruktiv. Es gebe keinen Zwang, Menschen kurz vor dem Tod oder im Sterbeprozess zu verlegen. «Das ist schlicht unethisch und wird in unserer Klinik nicht praktiziert.»
Ökonomie darf nicht dominieren
Grundsätzlich erkennt aber auch Gudat die Gefahr, «dass Patientenpfade im heutigen Gesundheits- und Tarifwesen ‹tarifgesteuert› sind» und in der Folge «nicht mehr nach den Bedürfnissen behandelt und verlegt» wird. Und für Patientenschützerin Barbara Züst ist klar: Man dar nicht die Ökonomie dominieren lassen und muss die DRG-Tarife anpassen.
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