«Namaste, no Maske», so begrüsst Marco Caimi seine Fans auf seinen Youtube-Kanälen. Der 59-jährige Arzt aus Basel, der 2013 die erste Männerpraxis in der Schweiz gegründet hat, sitzt vor seinem aufgeklappten Laptop; an der Wand hängt ein Bildschirm, den er für seine Videos jeweils mit Bildern und Infos bespielt. Caimi trägt ein weisses Hemd, darüber ein graues Gilet. An Letzterem prangt ein Ansteckknopf in Herzform, darauf steht: «Ich bin umarmbar.» Den gleichen Herz-Button trägt auch eines der Plüschhühner, die er neben sich auf den Tisch gestellt hat. Und dann ist da noch diese Illustration mit dem Schweizerkreuz, das zwar in Ketten gelegt ist, jedoch ein gesprengtes Glied hat – die Worte «free Switzerland» und eine weisse Taube runden die Grafik ab.
Caimis Youtube-Kanäle – den einen hat er im Mai 2019, also vor der Pandemie, den anderen im März 2021 erstellt – zählen zusammen rund 15 000 Abonnenten. Sowohl in seinen Videos als auch in seinen Blogtexten widmet sich der 59-Jährige hauptsächlich Themen rund um das Coronavirus. Überhaupt dreht sich im Leben des Arztes viel um Corona. Caimi ist Mitglied im Verein «Freunde der Verfassung», der das Referendum gegen das Covid-19-Gesetz ergriffen hat, und ein Unterstützer der Schweizerischen Vereinigung «Aletheia – Medizin und Wissenschaft für Verhältnismässigkeit». Weshalb dieser Aktivismus?
«Ein Engagement in der Corona-Pandemie finde ich extrem wichtig – alle Politiker brauchen Widerstand, denn ohne diesen werden sie immer machtbesessener», sagt der Arzt, der zwei Jahre für die Liberal-Demokratische Partei im Kanton Basel-Stadt politisierte. Geopolitische Themen hätten ihn schon früh interessiert und auch die Bandbreite der Medien, die er konsumiere, sei schon lange gross. Mit seinem ersten Sackgeld habe er sich den «Spiegel» gekauft, heute lese er auch den «Anti-Spiegel» von Thomas Röper.
«Demokratie oder Diktatur?»
Die Faust im Sack machen, entspricht nicht Caimis Art: «Resignation ist keine Lösung.» Wer sage, man könne eh nichts machen, der habe das System der direkten Demokratie nicht verstanden. Seine Maxime lautet denn auch: «Amandla Awethu!», was auf Zulu so viel bedeutet wie: «Alle Macht und Kraft liegt beim Souverän.» Den traditionellen Ruf der Antiapartheidbewegung zitiert der seit 28 Jahren selbständige Arzt mit Ausbildung in Psychiatrie/Gesprächstherapie sowie Rehabilitation oft und gerne.
So etwa auch, als er vor rund zwei Monaten an der Corona-Demonstration in Liestal eine Rede hielt. Caimi machte vor rund 10 000 Teilnehmern unter anderem auf die Gefahr einer «Hygieneapartheid» aufmerksam. Er sagte: «Fakt ist, dass wir in einem Hygienewahnsinn leben, den die Menschheit noch nie so gesehen hat. Und das bei einer Pandemie, welche die schwächste in allen Menschenzeiten ist.» Es sind solche Aussagen, mit denen der Arzt zünftig Öl ins Feuer seiner Kritiker schüttet. Caimi rief ins Menschenmeer: «Der Rechtsstaat funktioniert nicht mehr. Ist es eine Demokratie? Ist es eine Monarchie mit dem Sonnenkönig ‹allein per se› und seinem Gefolge, den Hofnarren der Mainstream-Presse? Ist es eine Diktatur? Ist es Tyrannei? Ist es Totalitarismus?» Es folgten Gejohle und Applaus. Caimi fügte an: «Ich weiss es nicht.»
Seine Worte erinnern teils an jene des Zuger Komikers Marco Rima. Humor erachtet der Arzt denn auch als «wichtige Medizin». Caimi trat schon mehrere Male als Kabarettist auf; seine Kabarett-Vorstellungen «Alpaufzug» (5. Programm) fielen jedoch teilweise wegen Corona ins Wasser. Auch die Workshops, Kurse und Referate, die 40 Prozent seiner Einnahmen ausmachen, konnten grösstenteils nicht durchgeführt werden.
Ist das, was Caimi an der Demo in Liestal von sich gab, nun humorvoll, polemisch oder gar niveaulos? Er selbst bezeichnet seine Rede als «Denkprovokation» – vor Publikum sprechen oder sich schriftlich äussern, das seien zwei verschiedene Paar Schuhe. Zu Demoschildern mit Parolen wie «Bundesrat gleich Volksverrat» meint er: «Das kann man so sagen, wenn es erwiesen ist. Besser wäre vielleicht gewesen: ‹Der Bundesrat arbeitet unsauber›.»
Der Arzt kritisiert nicht nur die Regierung, «die sich von der Humanitas entfernt hat», sondern auch die Taskforce. «Es braucht eine ausserparlamentarische Untersuchungskommission, die in jedem Land international besetzt sein sollte, um Interessenskonflikte möglichst zu minimieren.»
Bei solchen Problemen kann der Arzt nicht wegsehen
Caimi wirkt während des Gesprächs bedacht und reflektiert, obwohl er in der Öffentlichkeit gerne provoziert und bei ihm ab und zu das Temperament durchgeht – sein Vater war Tessiner, seine Mutter stammte aus Katalonien. Der Arzt betont, dass er die Menschen, die Angst vor dem Virus hätten, ernst nehme. Seiner Meinung nach würden die politischen Massnahmen – die er als «evidenzlos, unreflektiert, teilweise primitiv und menschenverachtend» bezeichnet – jedoch mehr Schaden anrichten als das Virus selbst. In seiner Männerpraxis, 30 Prozent der Klienten seien Frauen, sehe er die Folgen, das viele Leid: Existenzängste, Schlaflosigkeit, Suizidgedanken, häusliche Gewalt – bei solchen Problemen kann Caimi nicht wegsehen. «Wo führt das alles noch hin?»
Es sind vor allem die Sorgen seiner Mitmenschen und ihre Geschichten – etwa die des Kerzenherstellers, der vor dem Ruin steht, da er die Hotels und Restaurants, die seine Hauptabnehmer sind, nicht mehr beliefern kann –, die den Arzt dazu bewegen, aktiv zu sein, um «Widerstand gegen staatliche Kontrolle und den Angriff auf die Individualität der Menschen» zu leisten. Sein Aktivismus bringt ihm nicht nur Lob ein: «Ich bekam Tausende von Kommentaren und hunderte von Zuschriften – viele positive, aber auch drei Morddrohungen.»
Auf die Frage, ob er aufgrund seines Aktivismus auch schon Patienten verloren habe, antwortet er: «Von weniger Sprechstunden kann nicht die Rede sein. So gesehen gehöre ich eher zu den ‹Corona-Gewinnern›.» Seine Patienten wüssten, mit wem sie es zu tun hätten. «Wer eine klare Meinung vertritt und sich nicht nur polemisch äussert, sondern auch Hintergründe liefert, der wird Klienten verlieren, aber auch gewinnen.»
«Verängstigte Menschen kann man fast zu allem bringen»
Caimi kommt auf das Buch «The Great Reset» des Gründers des Weltwirtschaftsforums (WEF) Klaus Schwab zu sprechen: «Da muss man genau hinschauen, bei diesem Plan der neuen Weltwirtschaftsordnung 2030, man muss wachsam sein.» Mit einer Verschwörungstheorie habe das aus seiner Sicht nichts zu tun.
Der 59-Jährige erwähnt Namen wie Wolfgang Wodarg oder Sucharit Bhakdi – «die Kritiker der ersten Stunde». Gemäss Caimi waren es die gleichen Personen, welche die Hysterie um die Schweinegrippe kritisiert hatten und laut ihm waren es zum Teil auch dieselben Institutionen (z.B. WHO) und Personen (z.B. Christian Drosten), die damals schon schlimme Nachrichten verbreiteten und auf Panikmache setzten.
Caimi sieht Parallelen zwischen der Schweinegrippe und der Corona-Pandemie, er spricht jedoch von unterschiedlichen «Angststrategien». So seien etwa die Leute während der Schweinegrippe nicht in ihren Wohnungen eingesperrt worden. «Verängstigte Menschen kann man fast zu allem bringen. Sie geben die eigene Achtung auf oder, noch schlimmer, das Kostbarste, das wir haben: die eigene Würde.»
Der Arzt erwähnt ein Papier des Bundesinnenministeriums von Referent Stephan Kohn und zitiert daraus: «Kinder müssen akzeptieren, dass sie unter Umständen ihre Oma oder ihren Opa umbringen.» Er wiederholt das letzte Wort, seine Stimme wird dabei lauter, er wirkt fassungslos.
Hinterfragen, nicht einfach abnicken
Während des Gesprächs fallen auch die Namen freier Journalisten wie Milosz Matuschek und Paul Schreyer. Er habe mehrere Bücher von Schreyer gelesen, darunter auch das neueste «Chronik einer angekündigten Krise», sagt der Basler Arzt. Darin geht es um Pandemieübungen: Am 18. Oktober 2019 wurde, organisiert vom John Hopkins Center for Health Security, in New York der Ausbruch eines neuartigen Coronavirus simuliert. Das «Planspiel», genannt
«Event 201», bei dem Politiker, Beamte und zum grössten Teil Führungskräfte von globalen Konzernen teilnahmen, wurde unter anderem vom WEF sowie der Bill und Melinda Gates Foundation finanziell unterstützt. «Gibt es Parallelen zwischen den ‹Drehbüchern› und der aktuellen Situation?», fragt sich der Arzt und wirft weitere Fragen auf: «Wer verfolgt in der Pandemie welche Interessen: Cui bono? Sind Langzeitfolgen nach einer Covid-19-Impfung auszuschliessen? Leben wir bald in einer Zweiklassengesellschaft?»
Caimi sagt, er sei kein Pharmagegner, sondern lediglich ein kritisch denkender, klassischer Schulmediziner. Hinterfragen und nicht einfach abnicken, das ist dem aufmüpfigen Arzt ein Anliegen – er lässt sich nicht freiwillig anketten. Caimis Hunger auf die ganz grossen Fragen ist noch längst nicht gestillt – die Weltkugel im Vorspann seiner Youtube-Videos dreht sich weiter.
Artikelserie
Unaufdringlich, direkt, rebellisch – so verschieden sie auch sind, eines eint sie: Sie schwimmen gegen den Strom. Medinside porträtiert drei Ärzte, deren Ansichten zu Corona von der gängigen, standespolitischen Meinung abweichen. Sie erzählen, wie sie zu ihren Ansichten kommen, was sie in diesen aussergewöhnlichen Zeiten bewegt, und werfen relevante Fragen auf.