Aktuell ist die Kadenz an unterschiedlichen Meldungen zum und über den Zustand des Gesundheitswesen hoch. Die Anzahl der Meinungsäusserungen ist jedoch (leider) kein Qualitätsmerkmal über deren Inhalt. Immer wieder werden die gleichen Themen in einer etwas anderen Form dargestellt - Lösungen werden jedoch kaum thematisiert. Manchmal muss man über die gemachten Vorschläge den Kopf schütteln.
«Es ist verheerend, wenn Fachkräfte aus Ländern mit einem schlecht funktionierenden Gesundheitswesen geholt werden, um unser Fachkräfteproblem zu lösen.»
So hat doch ein von den TA-Medien herbeigezogenen sogenannter Demographie-Experte in seinem Beitrag «eingeordnet» (alle Medien ordnen heute ein!?) – und tatsächlich eine Lösung zur Behebung des Fachkräftelmangels präsentiert: Man soll in Afrika Ausbildungsstätten schaffen, welche neben dem fachlichen Wissen auch die Schweizer Kultur vermitteln sollen. Die besten Absolventinnen und Absolventen sollen dann in die Schweiz geholt werden, um hier den Personalmangel zu beheben.
Klar ist, dass wir auf die Zuwanderung von Fachkräften angewiesen sind. Es ist jedoch verheerend, wenn Fachkräfte aus Ländern mit einem schlecht funktionierenden Gesundheitswesen geholt werden, um unser Fachkräfteproblem zu lösen. Den Vorschlag dieses sogenannten Experten kann man nicht einfach als «gut gemeint» abtun, er ist weder praktikabel, noch ethisch vertretbar. Er ist schlichtweg inakzeptabel.
«Das Gesundheitswesen wird mit weniger Personal auskommen müssen, ob wir das wollen oder nicht.»
Fakt ist, dass der Mangel an Mitarbeitenden nicht einfach ein vorübergehendes Problem ist, sondern uns noch weit in die Zukunft beschäftigen wird. Nicht nur der demographische Wandel ist dafür verantwortlich, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen. Darum wird das Gesundheitswesen mit weniger Personal auskommen müssen, ob wir das wollen oder nicht.
Unser hohes Qualitätsniveau in Frage zu stellen ist keine Handlungsoption. In allen Branchen der Wirtschaft wird über Künstliche Intelligenz (KI) als innovatives Instrument zur Verbesserung von Geschäftsprozessen diskutiert. Das Gesundheitswesen muss sich dieser Herausforderung stellen und sich diese Technologie zu Nutze machen.
Erfassen, überwachen, dokumentieren von Vitalfunktionen mittels Sensoren ist bereits heute möglich und wird angewendet. Das ist jedoch reine ICT. KI geht eben weiter. KI trifft aus den erfassten Parametern und Daten Entscheide, mittels Algorithmen werden Massnahmen verordnet, auch wann die Ärztin oder der Arzt beziehungsweise eine andere Fachperson miteinbezogen werden muss.
Es vereinfacht beziehungsweise automatisiert zudem die administrativen Prozesse – und eliminiert vielleicht auch unnötigen Handlungen. Weil KI selbstlernend ist können permanent neue Erkenntnisse einbezog werden – allerdings nicht nach dem Google-Prinzip, bei dem die Anzahl «Klicks» zu bevorzugten Handlungen führen, sondern nach definierten Qualitätskriterien respektive Algorithmen.
Fachpersonen werden wiederum für ihre Kernaufgaben eingesetzt, denn wir können uns schlichtweg nicht mehr leisten, dass gut ausgebildeten Mitarbeitenden für Funktionen eingesetzt werden, die durch KI ausgeführt werden könnten. Die Konzentration auf die Kernkompetenz, Entlastung von der Routine, Unterstützung im Entscheidfindungsprozess, so müssten sich die benötigten Mitarbeitenden wieder finden lassen.
«Die Spitäler müssen Gewinn machen, damit sie Innovationen fördern können.»
Damit steht die Frage im Raum, wie kann KI im Gesundheitswesen zum Durchbruch verholfen werden? Dazu braucht es vor allem der Wille, Projekte zu formulieren und zu finanzieren. Es gibt viele innovative Mitarbeitende aller Berufsgruppen, die fähig sind, solche Projekte voranzutreiben.
Auch darf die Finanzierung nicht das Problem sein – auch wenn die Direktorin von Santésuisse ausrichten lässt, das eine Tariferhöhung für die Spitäler so lange nicht in Frage komme, wie diese Gewinn machen. Die Spitäler müssen Gewinn machen, damit sie Innovationen fördern können. KI ist auch aktives Zuweiser-Marketing. Patientinnen und Patienten verfolgen sehr genau und werden das noch verstärkt tun, welche Spitäler und andere Gesundheitseinrichtungen sich an der Zukunft orientieren.
KI ist richtig eingesetzt keine Gefahr, sondern eine mögliche Lösung, den Fachkräftemangel wenigstens teilweise zu mildern.
Beat Straubhaar war ab 1985 Direktor des damaligen Regionalspitals Thun und von 2002 bis Ende 2011 CEO der Spital STS AG.