Für die Zweitmeinung zu Dr. KI? Kein Problem.

Die meisten Menschen können sich vorstellen, medizinischen Rat bei einem Chatbot zu holen. Und eine klare Mehrheit findet, dass die Ärzte KI-Unterstützung haben sollten. Dies besagt eine Erhebung in Deutschland.

, 19. August 2024 um 22:07
letzte Aktualisierung: 22. November 2024 um 08:03
image
Symbolbild: Medinside (made mit KI Midjourney)
Wie vertrauenswürdig sind KI-Diagnosen? Glaubt man einer Umfrage in Deutschland, so kann sich etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung vorstellen, eine medizinische Zweitmeinung von ChatGPT und Kollegen einzuholen.
Konkret haben 6 Prozent genau dies schon einmal getan – etwa indem sie sich bei Symptomchecker-Apps oder auch bei Chatbots wie ChatGPT nach ihren Symptomen erkundigten. Und 51 Prozent können sich künftig vorstellen, eine KI um eine Zweitmeinung zu bitten.
Die besagt eine repräsentative Befragung unter 1’140 Personen in Deutschland, welche der Digitalindustrie-Verband Bitkom beauftragt hatte.
Demnach finden 71 Prozent der Deutschen, dass Ärztinnen und Ärzte wenn immer möglich Unterstützung von einer KI erhalten sollten. Fast die Hälfte (47 Prozent) glaubt, eine KI werde in bestimmten Fällen bessere Diagnosen stellen als ein Mensch.

Keine Angst – aber bitte Kontrolle

Die Bevölkerung steht Dr. KI also relativ angstfrei gegenüber. So sagten 85 Prozent aus, dass sie KI als grosse Chance für die Medizin erachten. Zwei Drittel (69 Prozent) sprechen sich dafür aus, den Einsatz von KI in der Medizin besonders zu fördern. 40 Prozent wären damit einverstanden, wenn ihre Gesundheitsdaten zum Training von KI genutzt werden.
Auf der anderen Seite macht der Einsatz von KI in der Medizin jeder dritten Person Angst.
Und eine gewisse Skepsis zeigt sich in einer anderen Zahl: 79 Prozent der Deutschen sprechen sich dafür aus, den Einsatz von KI in der Medizin streng zu regulieren.
Bemerkenswert sind diese Ergebnisse, weil sie einer anderen Studie der Universität Würzburg widersprechen: Laut jener Arbeit hält sich das Vertrauen in die medizinische Kompetenz von KI-Systemen noch in engen Grenzen. Denn sie besagt, dass die meisten Menschen misstrauisch werden, wenn sie erfahren, dass eine KI hinter einer medizinischen Empfehlung steht – selbst wenn ein Arzt aus Fleisch und Blut die Verantwortung übernimmt.
Die Studie wurde von zwei Psychologen der Universität Würzburg und einem Mediziner von Pfizer erarbeitet. Dabei erhielten in 2’280 Studienteilnehmer identische medizinische Ratschläge – zu Platzangst, Reflux, Rauchstopp und zur Frage, ob eine Kolonoskopie angebracht sei. Die Probanden sollten dann die Empfehlungen nach ihrer Verlässlichkeit, ihrer Verständlichkeit und der Empathie bewerten.
  • Moritz Reis, Florian Reis, Wilfried Kunde: «Influence of believed AI involvement on the perception of digital medical advice», in: «Nature Medicine», Juli 2024.
  • doi: 10.1038/s41591-024-03180-7
Der Unterschied: Während die erste Gruppe hörte, dass die Ratschläge von einem Arzt oder einer Ärztin stammte, meinte die zweite Gruppe, ein KI-gestützter Chatbot sei dafür verantwortlich. Die dritte Gruppe wurde im Glauben gelassen, ein menschlicher Arzt habe die Empfehlung unter Zuhilfenahme einer KI erstellt.
Dass die Teilnehmer mehrheitlich dem ärztlichen Rat vertrauten und dem Chatbot-Tipp misstrauten – dies war gewiss zu erwarten. Doch selbst das Setting, bei dem ein Arzt oder eine Ärztin den Rat gab, aber dabei die Unterstützung von einer KI einholte, stiess auf mehr Widerstand als die rein menschliche Empfehlung.
Folglich waren die Personen bei KI-unterstützten Entscheidungen auch weniger bereit, dem Rat zu folgen – verglichen mit Empfehlungen, die ausschliesslich auf menschlich-ärztlicher Expertise basierten.
Auch in der Kategorie «Empathie» schnitt der ärztliche Rat besser ab als die beiden KI-Varianten. Einzig unter dem Aspekt «Verständlichkeit» zeigten sich kaum Unterschiede zwischen den drei Gruppen.

«Vernachlässigung der Einzigartigkeit»

Das Ergebnis mag überraschen – zumal wenn man bedenkt, wie leichtfertig die Menschheit bereit ist, sich Diagnosen via Google zu beschaffen und darauf zu bauen.
Möglicherweise werde der Einsatz von KI «als ‚entmenschlichend‘ empfunden», schreiben die Autoren. Dahin deute, dass dem ärztlichen Rat mit KI-Unterstützung sogar tiefere Empathie-Werte zugesprochen wurden. «Eine weitere Erklärung für den beobachteten Widerstand gegen KI-generierte medizinische Ratschläge könnte das Phänomen der ‚Vernachlässigung der Einzigartigkeit‘ sein, bei dem Benutzer glauben, dass KI ihre individuellen Merkmale womöglich nicht angemessen berücksichtigt.»
Oder anders: Wenn der Arzt auf KI zurückgreift, dann zeigt er damit auch, dass er die speziellen Besonderheiten des Patienten weniger berücksichtigt – dies könnte hierbei ein wichtiges Gefühl sein.
Der Unterschied der beiden Studien lässt wieder mal ahnen: Es besteht doch ein deutlicher Widerspruch zwischen den allgemeinen Aussagen der Menschen (zum Beispiel hier über eine technologische Entwicklung) und der Bereitschaft, diese Aussagen auch im eigenen Alltagsleben gelten zu lassen.
  • praxis
  • künstliche intelligenz
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Medbase expandiert in der Westschweiz

In Bulle plant die Praxis-Gruppe ein neues medizinisches Zentrum.

image
Gastbeitrag von Esther Wiesendanger

Da sind steigende Gesundheitskosten ja nur logisch

Getrennte Apotheken in Gruppenpraxen, Impfverbote in der Pflege, teure Zusatzkontrollen: Groteske Behörden- und Kassenentscheide lähmen die Versorgung. Sind wir Ärzte eigentlich Komiker?

image

Pallas Kliniken streichen 20 Stellen

Das Familienunternehmen will sich am Hauptsitz in Olten auf weniger Fachbereiche fokussieren.

image

2025 im Zeichen der KI: Drei wichtige Trends für das Gesundheitswesen

Der Wissenschaftsverlag Wolters Kluwer hat herausgearbeitet, wo Künstliche Intelligenz die Medizin in nächster Zeit speziell prägen könnte. Schwerpunkte liegen auf smarter Ausbildung und auf der Patientensicherheit.

image

Gemeinsam erfolgreich: Medinside wächst um über 70 Prozent

In eigener Sache: Medinside erlebte 2024 als Jahr des Wachstums und Erfolgs. Mit Ihrer Unterstützung bauten wir unsere Position als führende Plattform für Gesundheitsprofis weiter aus.

image

So wird KI fit für die klinische Routine

Vivantes integriert mit clinalytix KI in die täglichen Behandlungsprozesse

Vom gleichen Autor

image

Notfallpraxis in Not: Der Kanton bezahlt

Der Zuger Regierungsrat zieht Konsequenzen aus dem Bundesgerichtsurteil zu den Notfall-Pauschalen – und subventioniert ein Praxis-Angebot. Notfalls jahrelang.

image

Solothurner Spitäler holen Chief Information Officer vom KSA

Thomas Seiler folgt im September auf Elke Albrecht.

image

Mythos Kostenexplosion: Das Gesundheitswesen wird günstiger

Während die Preise für Konsumgüter steigen, werden medizinische Behandlungen, Medikamente oder Therapiegeräte billiger. Sollte man die gesundheitspolitische Debatte neu ausrichten – hin zu den wahren Ursachen?