Als Direktor einer grossen Ausbildungseinrichtung für Gesundheitsberufe frage ich mich, wie wir junge Menschen motivieren können, sich als Hebammen, Physiotherapeuten oder Pflegefachpersonen ausbilden zu lassen. Denn: Schweizweit nehmen die Zahlen von Interessierten an einer Ausbildung zu einem Gesundheitsberuf ab, in der Pflege sogar sehr massiv.
Dass nun die Branche und die Medien «Fachkräftemangel!» schreien und die Politik als Gegenmassnahme die Zahl der Studienplätze erhöht, zieht bei den Jungen allerdings wenig.
Andreas Gerber-Grote ist Direktor des
Departements Gesundheit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW.
Im Gegenteil: Der ständige Fokus auf die Schattenseiten der Gesundheitsberufe, wie dies im Zuge der Pflegeinitiative der Fall war, schreckt viele ab, statt sie für diese Jobs zu begeistern. Berichte über belastete Kolleginnen, die mal wieder in Scharen ein grosses Spital verlassen, tun ihr Übriges. Mehr Studienplätze zu schaffen, bevor wir etwas an den Strukturen ändern, ist da wohl die falsche Reihenfolge.
Erklärungen, mit denen das Problem sinkender Anmeldezahlen für Gesundheitsberufe in seiner ganzen Dimension reduziert wird, gibt es viele: geburtenschwache Jahrgänge; Verzögerungen durch Corona, weil die jungen Leute erst noch verreisen wollen; et cetera. Doch Schönreden hilft hier nicht, denn viele Gesundheitsfachleute steigen nach kurzer Zeit wieder aus.
«Wir müssen uns fragen, wie wir die Ausbildung in der Praxis besser ausstatten, um den Jungen eine sorgfältige Betreuung zu garantieren.»
Illusorisch also, dass die Fachhochschulen und die Höheren Fachschulen unter diesen Umständen ihre Ausbildungsprogramme füllen und die Studienplätze, wie von der Politik gefordert, gar noch erhöhen. Und die Rechnung wird erst recht nicht aufgehen, wenn wir junge Leute mit falschen Versprechungen locken. Zumal sich immer mehr Probleme auftürmen: So zeigt eine aktuelle Studie, dass nahezu alle Pflegefachpersonen sexuelle Belästigung durch Patienten am Arbeitsplatz erleben.
Gesundheitsberufe, allen voran die Pflege, brauchen nachhaltige Aussichten. Diese zu schaffen, geht uns alle an. Wir müssen uns fragen, was wir Auszubildenden zumuten dürfen und wie wir die Ausbildung in der Praxis personell besser ausstatten, um den Jungen eine sorgfältige Betreuung zu garantieren.
Wir sollten mit Technologie an der Vereinfachung von Dokumentation und Administration arbeiten, damit Gesundheitsfachpersonen das tun können, wozu sie ausgebildet werden. Die Politik wiederum ist gefragt, die Strukturen in der Versorgung anzupassen. Und vor allem sollte sie jungen Menschen, die sich für einen Gesundheitsberuf interessieren, nicht noch zusätzlich Hürden in den Weg legen.
«Das, was Gesundheitsberufe attraktiv macht, muss viel öfter zu Wort kommen.»
So überlegt man derzeit, von gymnasialen Anwärterinnen und Anwärtern eine 12-monatige Arbeitswelterfahrung vor Antritt des Studiums zu verlangen. Doch statt mit Patienten zu arbeiten, würden die jungen Menschen in den Spitälern lediglich für Hilfsdienste eingesetzt. Das wird die Gesundheitsberufe kaum attraktiver machen.
Vielmehr sollte die Politik gemeinsam mit den Fachhochschulen und Praxispartnern überlegen, wie wir die Praxiserfahrung optimal in die Studiengänge integrieren. Damit wir Absolventinnen mit dem guten Gefühl entlassen können, den Herausforderungen in der Arbeitswelt gewachsen zu sein.
Klatschen nützt nichts
Doch das reicht nicht. Wollen wir ausreichend Fachpersonen, müssen wir zwingend auch das Narrativ ändern. Die meisten von uns wünschen sich Sinnhaftigkeit im Job – da können Gesundheitsberufe eindeutig punkten. Sprich: Das, was Gesundheitsberufe attraktiv macht, muss genauso und viel öfter zu Wort kommen.
Klatschen und Kitsch nützen nichts, aber eine ehrliche Darstellung des wirklich Erfüllenden: Dass Health Professionals Nähe erleben und geben können, dass es enorm befriedigend sein kann, sich für Familien in kritischen Situationen einzusetzen, und erfüllend, wenn es anderen wieder besser geht. Nicht zu vernachlässigen: die guten Weiterbildungsmöglichkeiten, die Abwechslung im Job, die Sympathie in der Bevölkerung. All das macht den Alltag unserer Fachpersonen in der Gesundheitsversorgung ebenfalls aus. Nur werden diese USPs als wirksame Massnahme gegen den Fachkräftemangel viel zu selten genannt.