Beim elektronischen Patientendossier EPD zeigen sich so viele Probleme, dass der Bundesrat sogar einen Neuanfang in Erwägung zieht. Der FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt (28) will nun die Digitalisierung des Gesundheitswesens anders aufzäumen. Sein Vorschlag: Eine eindeutige Patienten-Nummer, die in Arztpraxen, Spitälern, Apotheken und beim Kontakt mit der Krankenkasse zum Zug käme.
Im Interview mit Medinside erklärt Silberschmidt, warum die Schweiz möglichst rasch für alle eine solche Patienten-Nummer einführen sollte - und wie nutzlos er das elektronische Patientendossier findet.
Herr Silberschmidt, wann waren Sie das letzte Mal in der Apotheke, beim Arzt oder im Spital?
Vor kurzem war ich zu einer EPD-Demonstration in einer Apotheke. Das Resultat war ernüchternd. Ich sehe keinen Vorteil gegenüber meiner PDF-Ablage in der Apple-Cloud.
Wäre das mit einer Patienten-Nummer, wie Sie sie fordern, anders gewesen?
Dank einer digitalen Patienten-Identifikation können verschiedene Systeme automatisiert miteinander kommunizieren und Daten austauschen. Eine einfache PDF-Ablage bietet kaum einen Mehrwert zum Status Quo. Im EPD, dem elektronischen Patientendossier, gibt es einen eindeutigen Schlüssel, welcher jedoch nur für das EPD verwendet werden darf. Daher steht in meiner Motion auch, dass Synergien mit bestehenden Systemen geprüft und falls möglich genutzt werden sollen. Die Master-Patienten-Nummer zielt primär auf eine reibungslose Zusammenarbeit unter den Leistungserbringern – nicht zwingend nur in Kombination mit dem EPD. Auch sollen etwa Vergleiche von Behandlungsarten mit mehreren Leistungserbringern möglich werden: Was ist günstiger und trotzdem qualitativ hochwertig?
Hätten Sie keine Bedenken, alle Ihre Gesundheitsdaten in so einem Patienten-Identifikator zu speichern?
Nein. So lange die Daten mir gehören und ich bestimmen kann, mit wem ich sie teilen will, habe ich keine Bedenken. Heutzutage ist technologisch ein Sicherheitsniveau möglich, an das kein Ordner mit Papier herankommt.
Wäre die Patienten-Nummer obligatorisch?
Der Vorstoss sieht noch kein Obligatorium vor, damit die Idee nicht bereits zu Beginn gefährdet ist. Im Grundsatz bin ich aber der Meinung, dass die doppelte Freiwilligkeit kein Zukunftsmodell ist. Es braucht eine Prinzipienumkehr: Eigentlich müsste digital der Grundsatz und Papier die Ausnahme sein.
Wo müsste man überall seine Patienten-Nummer nennen?
Die PID ist eine Art Gatekeeper zu allen Berührungspunkten im Gesundheitswesen. Die Anwendung kann beliebig erweitert werden.
Haben Sie ein EPD?
Nein. Ich sehe im aktuellen EPD keinen Vorteil gegenüber meiner heutigen, selbst organisierten PDF-Ablage in der Apple-Cloud.
Das EPD findet kaum Anklang, weder in der Bevölkerung noch bei den Ärzten und Spitälern - und schon wollen Sie etwas Neues bringen?
Wir müssen ehrlich sein und sagen, dass mehr vom Bisherigen nichts verbessert. Leider haben weder wir als Gesetzgeber noch das Bundesamt für Gesundheit, das BAG, in den letzten Jahren vorwärts gemacht. Deshalb braucht es neue Ideen und vor allem Leadership und die notwendigen Kompetenzen im BAG, die Digitalisierung ernsthaft und mit der notwendigen Geschwindigkeit zu forcieren. Das fordern wir übrigens nicht erst seit gestern, nur wurde wenig gemacht.
Sie wollen das EPD behalten und die PID zusätzlich einführen?
Die Master-PID ist wichtig für die Kommunikation zwischen den Systemen. Meine Vision ist, dass wir eine digitale Patientenadministration schaffen, welche zusammen mit der Master-PID eine komplett digitale Abwicklung aller Gesundheitsanliegen ermöglich. Ob diese dann «EPD 2.0» oder einen anderen Namen trägt, ist mir egal. Die Ablage von Dokumenten ist aber nur das Eine. Es braucht ein System, wo die Daten maschinenlesbar gespeichert werden. Auf dieser Basis kann ich - wenn ich das will und freischalte - verschreibungspflichtige Medikamente bestellen, werde über einen Impftermin erinnert und so weiter. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, wenn die Infrastruktur sauber aufgesetzt wird.
Wie kommen Sie eigentlich auf die digitale Patienten-Identifikation? Gibt es andere Länder, die ein Vorbild sind?
Heute arbeitet jeder Leistungserbringer weitestgehend isoliert, obwohl bei vielen Behandlungen oft mehrere Akteure involviert sind. Dies erfordert eine ausgereifte und digitale Kommunikation, damit keine Informationen verloren gehen, die Patientensicherheit nicht gefährdet wird und teure Doppelspurigkeiten vermieden werden. Skandinavische Länder wie Dänemark sind hier Vorreiter, ebenso beispielhaft ist Estland – ein Pionierland im Bereich E-Governance und E-Health.
Was halten Spitäler, Ärzte, Krankenkassen und Apotheker von der Patienten-Nummer?
Alle Gespräche waren sehr positiv. Eigentlich sind alle Akteure unzufrieden mit dem Status Quo. Es ist nun die Verantwortung des BAG, die Zügel an die Hand zu nehmen. Das Gesundheitssystem ist derart stark reguliert, dass es Aufgabe des Regulators ist, vorwärts zu machen, denn für viele möglichen Digitalisierungsideen fehlt heute die rechtliche Grundlage.
In einem zweiten Vorstoss fordern Sie auch eine zentrale Patientenadministration. Wozu braucht es die?
Die digitale Patientenadministration komplettiert die PID. Mit der PID kommunizieren die verschiedenen Systeme der Akteure. Den kompletten Zugang zu den Informationen habe aber nur ich als Patient. Die PID ist quasi die Strasse und Nummer meiner Wohnung. Den Schlüssel, um in die Wohnung zu gehen, besitze aber nur ich. Mit diesem Schlüssel habe ich Zugang zu allen Akten und kann diese wahlweise freigeben, um von Synergieeffekten zu profitieren. Ebenso sollen sich Patienten in medizinischer Not nicht noch um all die administrativen Hürden kümmern müssen.
Was bringt die zentrale Patientenadministration genau für einen Nutzen?
Sie spart allen viel Zeit, denn die Kommunikation wird massiv vereinfacht. Zudem ist die Gefahr von Fehlbehandlungen kleiner, denn der Informationsgehalt über den gesundheitlichen Zustand wird dank einer guten Ablage grösser sein.
Ist das etwas, worauf die Spitäler, Ärzte und Krankenkassen warten?
Das Echo ist sehr positiv, im Bewusstsein das es ein Puzzle-Stück einer ganzen Transformation ist.
Wie wäre das mit den Apotheken? Hätten die dann auch eine zentrale Kundenadministration?
Nein, die Administration wäre beim Patienten. Der Patient kann aber seiner Apotheke Zugriff auf bestimmte Dokumente oder Dokumentengruppen gewähren. Er kann die Apotheken sozusagen zu sich ins Wohnzimmer lassen, aber nicht ins Schlafzimmer, um beim Bild der eigenen Wohnung zu bleiben. Zudem soll auch hier die Administration standardisiert, digitalisiert und möglichst automatisiert werden.
Es ist für Sie wohl erfreulich, dass der Bundesrat beiden Vorstössen zustimmt. Aber das Problem ist, dass er gleichzeitig sagt: Das müssen die Kantone machen. Das heisst wohl im Klartext: Es passiert nichts, weil sich 26 Kantone nicht einigen können. Oder?
Ich kann die Antwort des Bundesrates nachvollziehen. Es ist nun wichtig, dass die Vorstösse auch vom Ständerat angenommen werden. Danach schauen wir weiter. Das EPD zeigt zudem exemplarisch, dass eben Behandlungen nicht an Kantonsgrenzen enden. Wir brauchen mittelfristig den Mut für nationale Standards und Grundlagen, wie aktuell auch bei der elektronischen ID. Gerade die Patientenadministration bezieht sich ja auf nationale Gesetze zu den Kranken-, Unfall- und Privatversicherungen.
Was unternehmen Sie dagegen, dass nichts passiert, obwohl der Bundesrat Ihre Ideen gut findet?
Ich werde mich in der Gesetzgebung dafür einsetzen, dass wir dem Bund und damit dem BAG die Verantwortung und die Pflicht geben, bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen vorwärts zu machen. Der digitale Raum kennt keine Kantonsgrenzen.