Die Frage nach der gerechten Bezahlung existiert, seit es Arbeit gegen Lohn gibt. Einmal zeigt der Moralfinger auf die Banker, das andere Mal auf die Manager. Derzeit ist der Blick in der Schweiz besonders auf die Einkommen der Ärztinnen und Ärzte gerichtet.
Während es bei Bankern im Sinne einer korrekten Governance mehr und mehr Daten hervorspült, wird der Ruf nach Transparenz bei den Ärzteeinkommen hingegen lauter und lauter. Mit den steigenden Gesundheitskosten und den stetig steigenden Prämien ist die Debatte um die Ärztelöhne bereits in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrängt.
Was verdienen nun unsere Ärzte? Schwierig zu sagen. Eine aktuelle Erhebung des Bundesamtes für Statistik (BfS) legt den Blick nun wieder etwas frei: Das BfS hat unter dem Strich einen Ertrag
von rund 155'000 Franken errechnet. Dies dürfte ungefähr dem Einkommen entsprechen. Die Zahlen gelten für die mehrheitlich als Einzelunternehmen organisierten Grundversorger und Spezialisten. Sie decken sich mit den eigenen Erhebungen der Ärzteschaft und der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH.
Die Verwechslung von Umsatz und Einkommen
Der BfS-Zahlenkranz über die Ärzteeinkommen veranschaulicht zudem einen wichtigen Aspekt, auf den die Medien und somit die Öffentlichkeit kaum Gewicht legen. Wirft man einen ersten Blick auf den Umsatz von durchschnittlich 545'000 Franken, scheint für viele Prämienzahler die Sache klar zu sein: Viel zu viel! Doch halt: Die Umsatzzahlen sind eben nicht dem Einkommen gleichzusetzen. Es ist abwegig, von Praxisumsätzen direkt auf das Einkommen eines Arztes zu schliessen.
Genährt wird die in Gang gesetzte Lohndebatte durch spektakuläre Einzelfälle über extrem hohe Verdienste. Die gibt es unbestritten – genau so wie Schieflagen in der Einkommensverteilung existieren. Doch Einzelfälle sind eben Einzelfälle und betreffen immer nur einen Bruchteil: Laut FMH sollen es 0,4 Prozent der berufstätigen Ärzteschaft sein. Und die Wiederherstellung der Sachgerechtigkeit des ambulanten Tarifs – wofür sich der Berufsverband einsetzt – sei das beste Mittel gegen Fehlanreize und Ineffizienz.
Der FMH wurde Transparenz untersagt
Die Mehrheit will mehr Transparenz bei den solidarisch finanzierten Ärzteeinkommen: die Öffentlichkeit, die Politik, die Medien – und auch die FMH: «Ja, wir Ärztinnen und Ärzte wollen Transparenz bezüglich unserer Einkommen», schreibt FMH-Präsident Jürg Schlup
in der «Schweizerischen Ärztezeitung». Man erwarte aber eine ehrliche und faktenbasierte Debatte.
Doch wer schliesst diese Transparenzlücke? Seit Jahren werden die Einkommen der Ärzte im ambulanten Bereich nicht mehr publik gemacht. Die FMH veröffentlichte über drei Jahrzehnte hinweg jährlich die Einkommen der Ärzteschaft. Ab 2013 musste der Berufsverband auf diese Publikation verzichten. Der Grund: Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) untersagte die weitere Verwendung der benutzten Einkommensdaten der Ausgleichskasse. Es bestünde kein überwiegendes Interesse an deren Bekanntgabe mehr, lautete die Argumentation.
BAG-Studie liegt laut Alain Berset noch nicht vor
Im Gegenzug kündigte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) vor einem Jahr eine Publikation zur Erhebung der Einkommen von Ärzten an. Mit der Erhebung wurden Ökonomen und Sozialwissenschaftler beauftragt: Forscher aus dem Berner «Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass)». «Wir werden die Einkommensdaten mit grosser Zuverlässigkeit per Ende 2017 bereithalten», sagte Stefan Spycher im April 2017. Der promovierte Ökonom leitet die Abteilung Gesundheitspolitik beim BAG.
Bislang – ein Jahr später – wurden immer noch keine Zahlen veröffentlicht. «Die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegebene Pilotstudie untersucht das AHV-pflichtige Einkommen der Ärzte und Ärztinnen, wird aber keine Schlüsse zu Einkommensanteilen aus der Grund- oder Zusatzversicherung ermöglichen. Sie liegt noch nicht vor», teilte Bundespräsident Alain Berset genau
vor einem Monat in der Frühlingssession mit.BAG: Zusatzauswertungen verzögern
Für die öffentliche Debatte jedenfalls scheint die verzögerte Publikation der Transparenz abträglich. Was bleibt sind Schätzungen, Spekulationen und Vorwürfe der Geheimniskrämerei, welche die Lohndiskussion zusätzlich anheizen. Die Situation scheint im Wesentlichen auch für die Ärzteschaft unangenehm zu sein. FMH-Präsident Jürg Schlup hält in seinem
Beitrag in der «Schweizerischen Ärztezeitung» fest: «Während also die FMH nicht mehr publizieren darf und die existierenden Daten vom Eidgenössischen Departement des Inneren EDI nicht publiziert werden, wird in den Medien die These von den «médecins millionnaires» effizient gestreut».
Wann die Publikation und somit mehr Transparenz zu erwarten ist, bleibt unklar. «Die Publikation wird im Laufe dieses Jahres vorliegen», sagte das BAG am 10. April 2018 auf Anfrage. Und weiter: Zur Verzögerung sei es gekommen, weil aufgrund der Komplexität Zusatzauswertungen in Auftrag gegeben wurden.
Globalbudget & Co. durch die Hintertür?
Die Debatte um die Ärztelöhne dreht unter diesen Voraussetzungen nur munter weiter – und zwar solange bis verlässliche und transparente Daten vorhanden sind. Wenig hilfreich für eine sachgerechte Diskussion ist schliesslich, wenn Politiker und Spitzenbeamte die Polemik zusätzlich befeuern. So setzten vor kurzem Alain Berset, Pierre-Yves Maillard, Mauro Poggia sowie BAG-Chef Pascal Strupler
die Zahl von einer Million Franken Einkommen aus der Grundversicherung aktiv in die Öffentlichkeit.
Es sei denn, die Sache ist politisch so gewollt. Die Botschaft, die damit gestreut wird: Ärzte verdienen Millionen aus den Kassenprämien. Und weil es im Tarmed-Streit schliesslich im Wesentlichen um die Ärzteeinkommen geht, erscheint es zweckdienlich, die ganze Ärzteschaft und deren Einkommen an den Pranger zu stellen. Denn der Tarmed gilt als Bollwerk gegen die Staatsmedizin. Dabei behalten die Etatisten stets die Einführung des Globalbudgets im Hinterkopf. Nur so kann der regulierte Markt zum Erlöschen gebracht werden – mit all den erdenklich negativen Folgen.