Das Kantonsspital Baden (KSB) beabsichtigt, die etablierte Zusammenarbeit in der Herzmedizin mit dem Kantonsspital Aarau (KSA) aufzulösen. Bereits ab dem 1. Oktober verzichtet das KSB auf die invasiven Leistungen des grossen Bruders. Das KSB sah sich zu einer Neuorganisation gezwungen. Der Auslöser war eine Kündigungswelle bei den interventionellen Kardiologen des KSA. So steht es in einem Schreiben an die Zuweiser: «Wir mussten somit reagieren, um unsere Patientinnen und Patienten im gewohnten Setting behandeln zu können».
Das Schreiben, verfasst am 9. September, präsentiert sich allerdings ohne einen Hinweis auf ein Datum. Dies lässt suggerieren, dass die Neuorganisation ab sofort gelte. Obwohl das KSB und das KSA einen laufenden Vertrag haben. Zur Erinnerung: «Pacta sunt servanda» – Verträge sind einzuhalten – so lautet das wichtigste Prinzip der Vertragstreue.
Alle Stellen am KSA wieder besetzt
Das KSA will und kann die Kündigung nicht hinnehmen. Denn der leistungs- und nicht personenbezogene Vertrag hat eine feste Laufzeit bis Ende 2021. Und er sei mit dem Vorhalten von Fachpersonal und Infrastruktur verknüpft. «Es wird keine verkürzte Laufzeit akzeptiert», sagt KSA-Sprecherin Isabelle Wenzinger auf Anfrage. Anders ausgedrückt: Das Spital in Aarau, das eine der grössten Kardiologie-Abteilungen in der Schweiz betreibt, hat vor, die Dienste in Baden nach dem 1. Oktober weiterhin anzubieten.
Die neu rekrutierten Kardiologen vermögen gemäss Spital, die Leistungen zu übernehmen, was schliesslich im Sinn der Eigentümerstrategie wäre. Alle Positionen in der KSA-Kardiologie seien bereits wieder termingerecht besetzt: Es wir keine Lücken geben, wie Sprecherin Wenzinger gegenüber Medinside erklärt.
Eigentümerstrategie fordert Kooperationen
Das Vorgehen aus Baden, den Vertrag einseitig zu kündigen, wirkt irritierend. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die beiden Aargauer Spitäler sich miteinander abstimmen und kooperieren sollten – im Sinne der Eigentümerstrategie des Regierungsrats. Denn statt das Gespräch mit dem grossen Partner zu suchen, will das Kantonsspital Baden das frühzeitige Ende der Zusammenarbeit knallhart und chancenlos durchsetzen.
Differenzen zwischen einem Teil des langjährigen Aarauer Kardiologen-Teams und dem neuen Chefarzt bestreitet das KSA nicht. Im Gegenteil: Es kam zu «unterschiedlichen Vorstellungen zur Führung und Entwicklung». Mehrere Mitarbeitende hätten deswegen gekündigt. Menschliche und fachliche Differenzen kommen in jedem Spital und in jedem Unternehmen vor. Anfang Juni 2018 übernahm Laurent Haegeli die Chefarztposition der Kardiologie von André Vuilliomenet, eine starke Persönlichkeit, 25 Jahre beim KSA.
Zank mit dem Chefarzt als einziger Grund?
Ob der Zank zwischen den Kardiologen und ihrem neuen Chefarzt der einzige Auslöser für die Kündigung des Vertrags mit dem KSA ist, bleibt indes unklar. Viele Fragen sind offen. Denkbar ist auch, dass das KSB die invasive Herzmedizin künftig selber betreiben will. Möglich ist auch, dass der Wechsel vielleicht von langer Hand geplant war? KSA-Mitarbeitende der Kardiologie wurden offenbar bereits seit Frühsommer zu einem Wechsel bearbeitet, wie Gespräche mit einzelnen Mitarbeitenden zeigen.
Diskutabel erscheint auch ein weiterer Punkt: In der «Schweizerischen Ärztezeitung» vom 19. September ist ein Inserat erschienen, in dem das KSB einen Oberarzt für die Kardiologie sucht. Das Spital präsentiert sich in der Anzeige «mit einem grossen Spektrum der invasiven Kardiologie auf höchstem Niveau». Der Inserateschluss war gemäss Terminplan der SÄZ am 2. September 2019. Das KSB schien sich der Sache wohl sicher zu sein.
Baden scheint sich der Sache sicher zu sein
Für Gesprächsstoff sorgte ferner eine E-Mail, die das KSA Mitte Juli an verschiedene Adressaten geschickt hatte. Dort stand, dass der invasive Hintergrunddienst für die Dauer von sieben Tagen in der Nacht und am Wochenende nicht vom KSA abgedeckt werden könne. Der Grund: Ein personeller, einmaliger Engpass. Einer der Kardiologen im Kündigungsstatus liess sich ab diesem Zeitpunkt krankschreiben. Die Herzkatheter-Behandlungen wurden von der Aarauer Klinik Hirslanden übernommen, Patienten aus Baden an das nahe gelegene Zürcher Unispital (USZ) zugewiesen.
Fraglich ist darüber hinaus der Zeitpunkt der Kündigung. Diese ist beim Kantonsspital Aarau am 29. August eingetroffen. Drei Tage nachdem der Regierungsrat die neue Spitalliste präsentierte. Der Kanton Aargau erteilte dem KSA, dem KSB und Hirslanden die Leistungsaufträge Kardiologie und Koronareingriffe; Spezialeingriffe gingen ans KSA und an Hirslanden. Laut dem Kanton wurden Kooperationen und Partnerschaften «gefördert und gefordert».
KSB-Präsident informierte (zu) spät
Weniger gut in der Causa Aargauer Herzmedizin kommt KSB-Präsident Daniel Heller weg. Das Kantonsspital Baden hatte den Kanton Aargau als Eigentümer erst am Freitagmorgen, 30. August, über die neue Kooperation informiert. Kurz bevor die AZ die Kündigung des Vertrages und der Ärzte publik machte. Dies «erscheint als zu knapp», teilt der Kanton auf Anfrage mit.
Es liege in der Verantwortung des Präsidenten des obersten Leitungsorgans, bei Traktanden, die den Eigentümer betreffen, vorgängig und unverzüglich die Haltung des Eigentümers einzuholen – und für eine kontinuierliche gegenseitige Abstimmung der Interessen zu sorgen. So sieht es der Kanton. Dazu zählen gemäss Kanton wichtige Ereignisse und Entwicklungen wie strategische Kooperationen mit anderen Spitälern.
Auf einen Schlag ein neues Kardiologen-Team
Im Fall des Streits um die Herzmedizin zwischen dem KSA und dem KSB gibt es noch einen weiteren Aspekt: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Die vier Ärzte vom KSA
wechseln zur Privatklinik Hirslanden Aarau, die bei den invasiven Leistungen neu mit dem KSB kooperiert. Die vier Kardiologen, Ercüment Ercin (neu als Leiter interventionelle Kardiologie am KSB), Igal Moarof (Stellvertreter), Martin Steiner und Florian Hofbauer, haben bei Hirslanden ein eigenes Herzzentrum gegründet. Und als «regulär Angestellte» des Badener Kantonsspitals werden sie weiterhin am KSB tätig sein.
Das bedeutet auch: Auf dem Platz Aarau praktizieren nun auf einen Schlag fünf neue Kardiologen. Aus Versorgungssicht ist es zu vermeiden, dass Überkapazitäten in der Kardiologie aufgebaut werden. Dieser Ansicht ist der Kanton. Das Departement Gesundheit und Soziales (DGS) prüft derzeit die Versorgungssituation in der Kardiologie, heisst es auf Anfrage. Aus diesem Grund könne das DGS noch keine weitere Aussagen dazu machen.
Aus Versorgungssicht müsse zudem weiter überprüft werden, ob die Anforderungen, die mit einem Leistungsauftrag verbunden seien, weiterhin erfüllt werden könnten. Abgemacht ist: Die Hirslanden Klinik darf ihre kardiologischen Leistungen vertraglich nicht aufbauen, im Gegenzug betreibt das KSA keine Herzchirurgie. Bisher habe es diesbezüglich noch keine Gespräche oder Vertragsänderungen zwischen den beiden Betreibern des gemeinsamen Herzzentrums Aargau gegeben, wie es auf Anfrage heisst.
Pragmatische Lösung anstreben
Dass rivalisierende Partner auch über den eigenen Schatten springen können, zeigt das Beispiel der Herzchirurgie vor einem Jahr. Neben der Privatklinik Hirslanden Aarau hatte sich das KSA für einen Leistungsauftrag beworben. Die beiden Kliniken konnten sich auf eine weitere Zusammenarbeit in der Herzchirurgie einigen - nach einer Aussprache und auf Druck der Regierung. Das KSA hat seine Bewerbung um einen Leistungsauftrag in der Herzchirurgie schliesslich zurückgezogen.
Letztlich wurden mit dieser Lösung auch langwierige Rechtsstreitigkeiten verhindert. Es bleibt nun abzuwarten, ob es zwischen dem Kantonsspital Baden und seinem grossen Partner KSA nun eben genau zu diesen Rechtsfällen kommen könnte.