In einer neuen
Krankenkassen-Studie prophezeiht die Beratungsfirma EY, dass sich die Gesundheitskosten und die Prämien bis 2030 verdoppeln werden. Diese Voraussage ist realistisch, wenn nicht entweder die Anreize verschoben werden von der Menge in Richtung Effizienz und Qualität. Oder wenn nicht rationiert wird.
Wir Bürger sind sicher mitschuldig am Prämienwachstum. Einerseits treibt die steigende Lebenserwartung die Kosten in die Höhe, andererseits schafft der technische Fortschritt neue Behandlungen, die von uns auch nachgefragt werden, wenn wir krank sind.
Felix Schneuwly
Felix Schneuwly ist seit 2011 Head of Public Affairs beim Vergleichsdienst Comparis. Zuvor arbeitete er als Leiter Politik und Kommunikation für Santésuisse. Der Deutsch-Freiburger verfügt über ein Lizenziat in Journalistik und Psychologie und einen MBA-Titel in Nonprofit-Management.
Treiben Patienten Mengen und Preise in die Höhe? Oder die Leistungserbringer? Steigen die Prämien ständig, weil wir in der Schweiz weltweit eine der höchsten Dichten an Spezialärzten und Spitälern haben? Oder passen wir unseren Konsum dem Angebot an?
Wir gehen eher weniger häufig zum Arzt als die Patienten in unseren Nachbarländern. Wenn wir gehen, ist es aber viel teurer als anderswo, weil wir uns häufiger operieren lassen.
Anreize für zurückhaltenden Konsum sowie effiziente, hochstehende Leistungserbringung sind besser als Angebotsbeschränkungen, weil letztere bloss die Mehrklassenmedizin fördern.
Wehrt Euch gegen unnötige Bürokratie
Krankenversicherer müssten also noch stärker jene Patienten mit Prämienrabatten belohnen dürfen, die sich für Versicherungsprodukte wie Telemedizin-, Hausarzt- oder HMO-Modelle entscheiden, weil diese Versicherungen gute und günstige Medizin fördern. Heute werden Versicherte, Ärzte und Spitäler zu wenig belohnt, wenn sie zurückhaltend konsumieren beziehungsweise effizient und qualitativ gut arbeiten.
Wer mit Schnupfen in den Spitalnotfall rennt oder mit Schmerzen ohne Erkenntnisgewinn mehrere Spezialärzte aufsucht, strapaziert die Solidarität und sollte massiv höhere Prämien bezahlen als diejenigen, die mit besonderen Versicherungsmodellen einen Sparbeitrag leisten.
Arztpraxen mit Faxgeräten
Und auch die Gesundheitsversorger wie Apotheken, Ärzte oder Spitäler müssen besser zusammenarbeiten, die Chancen der Digitalisierung packen und sich gegen unnötige Bürokratie wehren. Heute behauptet jeder Gesundheitsversorger, mit seinen Mehrleistungen würden anderswo Kosten gespart. Es herrscht ein Krieg um Diplome, Zuständigkeiten und höhere Tarife unter den Berufsverbänden. Das Problem dabei: Notfallärzte, Hausärzte, Apotheker behandeln die Patienten gesondert, ohne dass jemand Gesamtverantwortung für Qualität und Kosten übernimmt.
Jeder Patient sollte eine Fachperson bestimmen dürfen, welche sämtliche Untersuchungen und Behandlungen koordiniert und für tiefe Kosten sowie hohe Qualität sorgt. Koordinieren muss übrigens nicht unbedingt ein Arzt. Auch in der Administration gibt es viel Sparpotential: Es gibt heute noch Arztpraxen mit Faxgeräten oder Spitäler, die den Patienten Papierfragebogen verteilen und dann die Resultate abtippen.
In der Industrie heisst das Prozessowner
Die Koordination kann ein Hausarzt, ein Spezialarzt aber auch ein Apotheker übernehmen. Ist ein Patient beispielsweise regelmässig auf Medikamente angewiesen, muss nicht der Arzt das Rezept verlängern. Das kann die Pflegefachkraft der Spitex oder der Apotheker. Und diese Fachleute können den Patienten dann immer noch zum Arzt schicken, wenn etwas nicht in Ordnung ist.
«Würde in der Autoproduktion so schlecht koordiniert, wären die Autos doppelt so teuer und doppelt so pannenanfällig»
Der Koordinator – in der Industrie spricht man vom Prozessowner – hat den Überblick, ob der Patient eine weiterführende Behandlung durch einen Spezialisten braucht oder ob er mit den verschriebenen Medikamenten und Therapien problemlos klarkommt.
Heute muss der Patient zu viel selber koordinieren, geht zum überlasteten Hausarzt oder zum teuren Spezialarzt, ohne zu wissen, ob das richtig ist. Die schlechte Koordination und die unterschiedliche Finanzierung der Leistungen je nach Ort und Leistungserbringer verursacht Kosten ohne medizinischen Mehrwert. Würde in der Autoproduktion so schlecht koordiniert wie im Gesundheitswesen, wären die Autos doppelt so teuer und doppelt so pannenanfällig.
Die Lebensqualität ist wichtig
Dass die Lebenserwartung steigt, ist natürlich eine gute Sache. Am Lebensende stellt sich eher die Frage nach der Lebensqualität als nach den Kosten: In England wird knallhart vorgeschrieben, wer in welchem Alter und in welchem Gesundheitszustand welche medizinischen Leistungen bekommt. Das ist Rationierung. Aber die meisten Patienten wollen am Lebensende auch nicht alles, was medizinisch möglich ist, weil ihnen die Lebensqualität – nicht unbedingt die Kosten – wichtig ist.
Voraussetzung ist aber, dass Patienten besser über Risiken und Nebenwirkungen von Therapien informiert werden. Während die Pharmabranche oft Wunder verspricht, informieren Ärzte und Pflegefachleute viel objektiver über Risiken, Nebenwirkungen und Lebensqualität als noch vor wenigen Jahren. Es geht nicht darum, Druck aufzusetzen, sondern um Aufklärung: Ich bin überzeugt, dass jemand etwa bei einer Chemotherapie, die das Leben um einen Monat mit Schmerzen und Schmerzmitteln im Bett verlängert, die Behandlung nochmals überdenkt.