Schon als Neunjähriger trieben ihn die grossen Fragen um: Was ist der Sinn des Lebens? Wie verbessert man das Dasein des Menschen? Im Alter von zwölf Jahren nahm er an einem Jugendwissenschaftswettbewerb in Texas teil und gewann den ersten Preis. Die Schule machte er im Schnelldurchlauf – mit 14 Jahren ging er an die Universität, wo er zunächst Chemie studierte, dann Physik und Ingenieurwissenschaften. Seine Doktorarbeit schrieb er über das Gehirn.
Ed Boyden, so heisst der amerikanische Neurowissenschaftler, der inzwischen 42 Jahre alt ist und für seine Forschungsarbeiten mehrfach ausgezeichnet wurde. Im «NZZ Folio» erschien kürzlich ein Artikel über ihn und seine Hirnforschung.
Wie alles begann
Vor einigen Jahren wollte Boyden mit seinem Forschungsteam in Erfahrung bringen, wie die Abertausenden von Molekülen in den Gehirnzellen angeordnet sind und wie daraus das Denken und die Gefühle entstehen. Doch diese Moleküle sind so winzig klein, dass es unmöglich ist, diese mittels traditionellem Lichtmikroskop sehen zu können. Aus physikalischen Gründen reicht die Auflösung lediglich bis zu einem Bereich von etwa 200 Nanometern. Sind die Spalten enger, kann sichtbares Licht nicht hineindringen. Der Körper einer Gehirnzelle – das menschliche Gehirn enthält etwa 86 Milliarden Neurone und 100 Billionen Synapsen – ist rund 5 bis 100 Mikrometer gross.
Boyden und sein Team versuchten bei ihrer Arbeit am Gehirn bildgebende Verfahren im Nanomillimeterbereich anzuwenden – der Versuch scheiterte. Doch Boyden suchte weiter nach einem geeigneten Verfahren, bis er schliesslich auf die Idee kam, das Gehirn zu vergrössern.
Dies sollte ihm dann auch mithilfe eines Materials, das etwa in Babywindeln, Damenbinden und Verbandmaterial steckt, gelingen. Die Rede ist von Hydrogel. Das Material kann ein Vielfaches seines Eigengewichts an Wasser aufnehmen, dabei dehnt es sich stark aus. Boyden stellte fest: Auch das Gehirngewebe lässt sich erstaunlich einfach aufblähen.
«Wie wenn man ein Bild auf einen Ballon zeichnet, den man dann aufbläst»
Der Neurowissenschaftler und sein Team schafften es, die einzelnen Moleküle unter dem dem Mikroskop sichtbar zu machen. Bydon macht den bildlichen Vergleich: «Es ist, wie wenn man ein Bild auf einen Ballon zeichnet, den man dann aufbläst.» Das Bild bleibe das gleiche, bloss die einzelnen Elemente entfernten sich voneinander. Konkret läuft es so ab: Wenn Hydrogel nach Zugabe von Wasser aufquillt, nimmt es die Moleküle mit sich. Dieser Vorgang führt dazu, dass die Moleküle auseinanderrücken, sich also voneinander entfernen – nun sind sie unter dem Lichtmikroskop unterscheidbar. Damit man sie erkennen kann, werden sie zuvor mit fluoriszierenden Markern unterschiedlicher Farbe versehen.
«Expansionsmikroskopie» – unter diesem Namen hat Boyden sein Vorgehen erstmals 2015 publiziert. Die billige und schnelle Methode wird mittlerweile in Tausenden von Labors eingesetzt.
Boyden träumt von riesigem Gehirn
Das Volumen einer Probe vergrössert sich normalerweise um den Faktor Hundert. Das entspricht einer Ausdehnung um den Faktor 4,6. Eine obere Grenze sieht der Hirnforscher aber keine. Das Verfahren lässt sich denn auch mehrmals hintereinander anwenden. In einem unveröffentlichten Versuch wuchs die Probe sogar ums Millionenfache.
Boydens Hunger nach den ganz grossen Fragen ist noch lange nicht gestillt. So träumt er bereits von einem riesigen Gehirn, in dem sich der Fluss der Informationen – von der Sehrinde zum Gedächtnis und von dort zum Bewegungszentrum – beobachten lässt.