Ärztliche Behandlungsfehler werden als Kunstfehler bezeichnet, weil die Behandlung nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt. Eine neue Studie legt nun aber nahe, dass das Problem weniger handwerklicher als viel mehr kommunikativer Natur ist.
«Enttäuschende Ergebnisse»
In den USA hätten in den letzten fünf Jahren 1'744 Todesfälle und Kosten von 1,7 Milliarden Dollar vermieden werden können, wenn Ärzte und Pflegepersonal untereinander oder mit den Patienten besser kommuniziert hätten. So lautete der Befund eines Berichts der Researchfirma
CRICO Strategies, die zu den Harvard Medical Institutions gehört. Die Firma verfügt über einen Datensatz von 320'000 Haftungsfällen in 400 amerikanischen Spitälern.
Kommunikationsfehler zwischen dem medizinischen Personal oder zwischen dem medizinischen Personal und Patienten spielten in 30 Prozent der Behandlungsfehler eine Rolle. Frank Federico, Vizepräsident für Patientensicherheit am
Institute for Healthcare Improvement (IHI) bezeichnete die Ergebnisse in US-Medien angesichts Jahrzehnte währender Bemühungen zur Erhöhung der Patientensicherheit als «enttäuschend». Die Spitäler schafften es einfach nicht, die Fehlerquote zu senken.
Schwanger nach vermeintlicher Sterilisation
Es handelt sich um Fälle, die kein Profi und schon gar kein Patient erleben möchte. Hier drei Beispiele:
- Eine Pflegefachfrau vergass, dem Chirurgen mitzuteilen, dass der Patient nach einer Operation Unterleibsschmerzen und eine rapide Reduktion der roten Blutkörperchen aufwies, was auf innere Blutungen hindeuten könnte. Der Patient starb später an der Blutung.
- Ein Diabetiker starb, weil seine telefonischen Anfragen in einem Spital nicht an die richtige Stelle weitergeleitet worden waren und er darum nie einen Rückruf erhielt. Er erlitt eine Ketoacidosis, die sich einstellt, wenn der Körper zu wenig Insulin hat.
- Eine Frau wollte sich während eines Kaiserschnitts gleich noch sterilisieren lassen, aber ihre Informationen gelangten nicht zum behandelnden Gynäkologen. Später wurde die Patientin erneut schwanger - und reichte Klage ein.
Hektik, Stress, Konflikte
Gründe für die Fehler nennt der Bericht einige, und sie liegen auf der Hand: Sie reichen von Hektik und Überarbeitung des medizinischen Personals bis zu politischem und hierarchischem Gezänk im Spitalalltag. Auch ständige Unterbrechungen während der Arbeit spielen eine Rolle.
Interessant ist, dass elektronische Datenaufzeichnungen einerseits zu einer Verbesserung der Kommunikation führte und anderseits aber auch den gegenteiligen Effekt hatte, etwa wenn die Rapporte mangelhaft geführt werden.
Verständlich reden
Was kann zur Verbesserung der Kommunikation getan werden? Laut Frank Federico ist eine Fehlerkultur entscheidend: Das medizinische Personal soll sich frei fühlen, Meinungen zu äussern und Verbesserungsvorschläge zu machen, ohne Angst vor Sanktionen zu haben. Mediziner und Pflegepersonal sollen auch mit den Patienten in einer Art reden, die diese verstehen.
Standardisierte Kommunikation bei Schichtwechseln
In der Studie werden aber auch systematische Lösungswege aufgezeigt wie das im
Boston Children's Hospital entwickelte Kommunikationsprogramm
I-PASS. Es ist ein Standard, der die mündliche und schriftliche Kommunikation während der Übergabe von Patienten etwa bei Schichtwechseln regelt.
I-PASS steht für diese Handlungsmaximen: Illness severity - Patient summary - Action list for the next team - Situation awareness and contingency planning - Synthesis and read-back of the information.
Die Methode wird inzwischen in über 30 amerikanischen Kliniken angewendet. Im Bostoner Spital sank die Fehlerquote dank I-Pass um gegen 40 Prozent. Laut einer breiteren Studie bei mehreren Kliniken, die im
New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, ist die Fehlerquote nach Einführung des Standards um 23 Prozent gesunken.
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