Die so genannte «Initiative Joder» trifft eine zentrale Frage im Gesundheitswesen – zumindest symbolisch. Denn am Ende geht es hier um die Rolle und die Würdigung diverser Rollen im täglichen Gesundheits-Geschäft.
Der Vorstoss will bekanntlich, dass Pflegefachpersonen mehr Entscheide in Eigenregie fällen können – und dass bestimmte Arbeiten auch ohne ärztliche Verordnung von den Krankenversicherern vergütet werden. Pflege soll kein «Hilfsberuf» mehr sein, so die Botschaft, die hier ausgesandt wird.
Mehr Autonomie = mehr Abrechnungsposten?
Doch das wird schwierig. Die bürgerliche Parlamentsmehrheit ist offenbar misstrauisch und dürfte Sicherungen einbauen. Und der
Bundesrat sagte sogar kategorisch
Njet. Denn zu befürchten sei, dass sich die neue Entscheidungskompetenz von Pflege-Fachleuten und Pflege-Institutionen letztlich in einer Mengenausweitung niederschlägt. Kurz: Die autonomeren Pflege-Profis würden dann auch mehr Leistungen verrechnen.
In der Folge musste der Pflegepersonal-Verband
SBK öffentlich
mit einer Volksinitiative drohen – und so bahnt sich da wohl ein epischer Streit an: Prämienfranken versus Pflegekompetenz.
Aber geht es wirklich darum? Und falls ja: Was heisst das konkret – in Franken und Rappen?
Der Bundesrat hat tatsächlich Schätzungen vorgelegt, wie jeweils die Folgen wären. Grundsätzlich würden die neuen Entscheidungsbefugnisse der Pflege-Fachleute auf zwei Ebenen spürbar:
1. Im Pflegeheim
Hier bezahlt die Grundversicherung einen Beitrag pro Tag, abhängig von der Pflegebedarfsstufe des Patienten, jedoch unabhängig von den konkreten Leistungen. Das heisst aber: Mehr Leistungen verteuern nicht automatisch die Rechnungen der Pflegeheim. Teurer wird es erst, wenn jemand in eine höhere Pflegebedarfsstufe eingeteilt wird.
Der Versichererverband Santésuisse rechnet nun damit, dass nach dem Ausbau der Entscheidungskompetenzen der Pflege bei 10 Prozent der Patienten die Beiträge um eine Stufe erhöht würden. Dies ergäbe im Bereich der Pflegeheime Mehrkosten von 30 Millionen Franken pro Jahr.
Der Bundesrat legt hier keine eigene Berechnungen vor, sondern teilt mit, dass er «die von Santésuisse berechneten Mehrkosten als realistisch» betrachte.
2. In der ambulanten Pflege
Dies ist der heiklere Bereich: Denn hier erhalten selbstständige Pflege-Fachleute ein Honorar nach den geleisteten Stunden. Sie dürften also versucht sein, hier ein bisschen mehr und da ein bisschen aufwändigere Leistungen zu verrechnen. Die Kontroll-Rolle, die im ärztlichen Auftrag eben auch lag, würde aufgehoben.
Der Bundesrat rechnet nun damit, dass etwa 10 Prozent mehr Personen mehr Spitex-Leistungen beanspruchen würden, weil die Pflegefachperson direkt kontaktiert werden kann. Dies würde die Grundversicherung jährlich 50 Millionen Franken mehr kosten.
Eine andere Zahl bietet hier Santésuisse. Die Versicherer erwarten für den ambulanten Bereich eine jährlichen Kostensteigerung von 20 bis 100 Millionen Franken.
Woher diese Spannweite? Der Verband ging dabei davon aus, dass gut 400 Millionen Franken an den heutigen Haus-Pflegeleistungen durch die Abschaffung der ärztlichen Anordnung betroffen wären. Und hier wiederum wäre mit einer Kostensteigerung von 5 bis 20 Prozent zu rechnen.
Zusammengefasst: Die Kosten-Erwartungen pendeln zwischen bundesrätlichen 80 Millionen Franken und 130 Millionen Franken, welche nach dem Santésuisse-Szenaria maximal draufzulegen wären. Macht bei 25 Milliarden Gesamtkosten in der Grundversicherung etwa 0,4 Prozent.
Es gibt noch Unwägbarkeiten
Einzuschränken ist auf der einen Seite: Das Prinzip «ambulant vor stationär» dürfte sich auch hier auswirken, so dass der Bedarf für Grundpflege zu Hause in Zukunft noch zusätzlich steigt. In diesem Sinne dürften sich die Erwartungen fürs ambulante Geschäft – so der Bundesrat – «an der unteren Grenze bewegen und die Kostenzunahme deutlich höher einzuschätzen sein.»
Einzuschränken ist auf der anderen Seite: Mit der Änderungen könnten auch neue Sicherungen eingebaut werden. Auch daran erinnert der Bundesrat in seiner Botschaft. Derzeit erfolge die Kontrolle der Rechnungen von selbstständig tätigen Pflegefachpersonen meist durch Stichproben. Sollten Pflegeleistungen ohne ärztliches Backup erbracht werden, seien wohl weitere Kontroll-Methoden angezeigt.