Herr Haas, vor 20 Jahren haben Sie am KSW begonnen. Wie war das Spital damals kommunikativ aufgestellt?
Ganz einfach: Es gab sehr viele sehr gute Kommunikatorinnen und Kommunikatoren im Spital, aber es gab noch kein Gesamtkonzept für die Unternehmenskommunikation und noch keinen Kommunikationsleiter, der die Kommunikation zentral steuern und professionell weiterentwickeln konnte. Das war übrigens in vielen Spitälern nicht anders ...
Das heisst ...
Die Personalzeitung wurde vom HR oder vom Leiter Personalentwicklung herausgegeben, Medienanfragen nahm die Direktionsassistentin entgegen und leitete sie zur Beantwortung an den Spitaldirektor weiter, was für dessen Alltag eine zusätzliche Last war. Das KSW hatte bereits eine Website, sie war noch etwas statisch und übrigens ganz in Rot gehalten. Ein Rechenschaftsbericht mit soliden Daten und Fakten bildete den Jahresbericht, und das Kader wurde vom Spitaldirektor regelmässig an Informationsveranstaltungen über die Entwicklung des Spitals orientiert.
«Ein gutes Beispiel sind die grossen Bauprojekte, die von vielen Spitälern derzeit gestemmt werden und oft mit mehreren 100 Millionen Franken zu Buche schlagen.»
Wie hat sich die Bedeutung der Kommunikation in den Spitälern gewandelt?
Mit dem Spitalplanungs- und Finanzierungsgesetz (SPFG) haben sich die Anforderungen an die Kommunikation radikal verändert. Bekamen die Spitäler bis 2011 Geld, um ihre Betten zu betreiben, mussten sie sich ab 2012 über die Erträge finanzieren, die sie mit der Behandlung von Patientinnen und Patienten erzielten. Ein radikaler Systemwechsel, der für die Kommunikationsabteilungen bedeutete, dass sie wesentlich mehr Akzente hinsichtlich Positionierung und «Werbung» für ihr Spital setzen mussten. Damit wurde auch am KSW das Marketing zu einem neuen Schwerpunkt. Doch auch die interne Kommunikation gewann stark an Bedeutung und wurde am KSW mit der Einführung einer neuen, monatlich erscheinenden Mitarbeiterzeitung gestärkt.
Was sind heute die grossen Herausforderungen für Kommunikationsfachleute in Spitälern?
Die Bedeutung der Kommunikation für die Spitäler ist enorm gestiegen. In den letzten Jahren wurden immer neue Anforderungen gestellt. Ein gutes Beispiel sind die grossen Bauprojekte, die von vielen Spitälern derzeit gestemmt werden und oft mit mehreren 100 Millionen Franken zu Buche schlagen. Allein diese Projekte sind mit immensen Kommunikationsaufgaben verknüpft.
Wie genau?
Die Projekte müssen oft im demokratischen Prozess politisch begleitet werden. Dann, während des Baus müssen die Anwohner involviert und zeitnah informiert werden, die Mitarbeitenden, für die das Arbeitsumfeld im Neubau ändert, wollen in einem kulturellen Changeprozess abgeholt werden und selbstverständlich müssen die Patienten und Besucher des Spital über Umwege oder Baulärm orientiert werden. Dies, um nur das Nötigste zu erwähnen.
«Der Punkt ist der: Angesichts des herrschenden Kostendrucks auf die Spitäler ist die Schwelle sehr hoch, dass trotz der steigenden Anforderungen an die Kommunikation und das Marketing konsequenterweise auch die personellen Ressourcen aufgestockt werden.»
Wie gehen die Spitäler mit diesen Herausforderungen um?
Für die Kommunikationsspezialisten sind das hoch spannende komplexe Projekte, denn sie sind anspruchsvoll und für das Spital von vitaler Bedeutung. Entsprechend bindet ein Bauprojekt viele Ressourcen in der Kommunikation. Oft kommen noch andere gigantische Projekt hinzu, etwa die Einführung des elektronischen Patientendossiers oder ein Strategiethema. Das sind Kommunikationsaufgaben, die zum daily business hinzukommen. Der Punkt ist der: Angesichts des herrschenden Kostendrucks auf die Spitäler ist die Schwelle sehr hoch, dass trotz der steigenden Anforderungen an die Kommunikation und das Marketing konsequenterweise auch die personellen Ressourcen aufgestockt werden. Das bringt uns für die Bewältigung der Kommunikationsaufgaben zwangsläufig ans Limit.
Die Medienarbeit ist ein wichtiger Hebel für die Spitalkommunikation. Haben Sie Tipps an Ihre Kolleginnen und Kollegen im Umgang mit den Medien?
Ich kenne viele meiner Kommunikationskolleginnen und -kollegen und schätze sie sehr. Das sind erfahrene Profis. Aus diesem Grund habe ich auch mit fünf von ihnen den Verein «Scaph» gegründet, in dem wir uns quartalsweise austauschen. Daher liegt es mir fern, Ihnen «Tipps» zu geben. Doch als ich vor 20 Jahren ans KSW nach Winterthur kam, hatten die Journalisten in mir erstmals eine Ansprechperson, die sich für ihre Anliegen Zeit nehmen konnte. Das waren sie nicht gewohnt! Ich verliess mein Büro und besuchte die Redaktionen. Beim «Landboten», bei «Tele Top», bei der «NZZ» und vielen andern Medien pflegte ich aktiv die Kontakte.
Mit welchem Resultat?
Das schuf Vertrauen, auch wenn die Zusammenarbeit damals noch nicht so offen war wie jetzt. Denn heute sind auch die Journalisten viel stärker unter Zeitdruck und damit noch mehr auf die Medienstelle der Unternehmen angewiesen. Intern wurde die Medienarbeit auf mich zentralisiert – als Vertreter des Spitaldirektors gegenüber den Medien. Das schuf intern Klarheit. Dieses Vorgehen kann ich jedem Spital empfehlen, das noch keine Medienstelle geschaffen hat. Das Spital gewinnt sowohl intern durch die Entlastung der Führung als auch extern durch die proaktive Bewirtschaftung seiner Kommunikationsthemen.
«Die Baukommunikation habe ich als neue und hoch spannende Disziplin kennengelernt, und ich bin überzeugt, dass hier ein immenses Potenzial für die Kommunikation besteht, das ich aufdecken will.»
Sie wagen etwas Neues und machen sich selbständig? Warum dieser Schritt?
Mir war schon immer klar, dass ich nicht am KSW pensioniert werden wollte. Ich bin hier 20 Jahre «hängen» geblieben, weil es einfach zu spannend und herausfordernd war. Das Spital interessiert alle! In welchem Unternehmen sieht sich der Kommunikationsleiter schon mit derart vielen Herausforderungen konfrontiert und geniesst gleichzeitig so viel Freiheiten bei der Umsetzung seiner Ziele. Das habe ich extrem geschätzt. Aber auch die vielen Kontakte zu allen Mitarbeitenden aller Stufen und die vielen persönlichen Freundschaften waren bereichernd! Ich bin damals mit der Erwartung gekommen, ein paar Jahre im KSW zu arbeiten. Jetzt gehe ich nach unglaublichen 20 Jahren, mit umso grösserer Befriedigung und Dankbarkeit.
Können Sie uns mehr über Ihre Pläne verraten?
Sehr gerne! Ich werde mich weiter intensiv für Kommunikationsprojekte engagieren. Das hat mich bis heute begeistert, und ich mache mich selbständig, um mir die Schwerpunkte meiner Arbeit setzen zu können. Die Baukommunikation habe ich als neue und hoch spannende Disziplin kennengelernt, und ich bin überzeugt, dass hier ein immenses Potenzial für die Kommunikation besteht, das ich aufdecken will. Ich stelle also meine Expertise für die Beratung, Konzeption und Realisation von Kommunikationsprojekten im Gesundheitswesen aber auch für andere Branchen zur Verfügung. Zurzeit bin ich daran, meine Website zu realisieren und ich empfinde es als grossen Luxus, dass ich diesen Weg gehen darf. Wenn es mir gelingt, die Begeisterung für die Kommunikation in neue Projekte und Branchen zu tragen, bin ich glücklich.
Über André Haas
André Haas arbeitete über 20 Jahre lang als Leiter Kommunikation am Kantonsspital Winterthur (KSW). Er studierte Ethnologie, Psychologie und Wirtschafts- und Sozialgeschichte an den Universitäten von Bern und Zürich (UZH). Zusammen mit Kommunikationsfachleuten aus anderen Spitälern gründete er im Jahr 2012 den Verein Swiss Communication and Marketing Association of Public Health (SCAPH), der heute 90 Mitglieder zählt.