13 367 Konsultationen verrechnete die Zuger Notfallpraxis in den vergangenen fünf Jahren der Krankenkasse CSS – und darüber hinaus verlangte sie 13 164 Notfallzuschläge. Das machte Dieter Siegrist, den Leiter Wirtschaftlichkeitsprüfung, und sein Team stutzig.
Andere Notfallpraxen haben 1 bis 2 Prozent Notfälle
Denn andere Arztpraxen haben nicht wie die Zuger Ärzte 99 Prozent Notfälle, sondern lediglich 1 bis 2 Prozent, wie die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens publik machte.
Laut Tarmed dürfen die Notfallpauschalen – sie betragen je nach Wochentag und Tageszeit 41 bis 175 Franken – nur innerhalb ganz eng gesteckter Grenzen verrechnet werden.
Arzt muss sich sofort um Patient kümmern
Als Notfälle gelten nur Patienten, bei denen eine Störung der vitalen Funktionen vorliegt oder zu befürchten ist. Zusätzlich muss sich der Arzt sofort mit dem Patienten befassen.
Bei der nachträglichen Befragung von Patienten der Zuger Notfallpraxis hat die CSS Fälle entdeckt, die auch bei grosszügiger Interpretation nicht als Notfälle bezeichnet werden können.
Notfall wegen eines Rezepts?
Etwa jener Patient, der nur ein Medikamenten-Rezept abholte. Oder jene Patientin, welche wegen Überlastung der Praxis für drei Stunden nach Hause geschickt wurde und danach nochmals 30 Minuten im Wartezimmer verbrachte. Sobald jemand im Wartezimmer Platz nehme, sei das kein Notfall mehr, sagte Dieter Siegrist gegenüber dem Fernsehen.
Offenbar gibt es noch andere Notfallpraxen, welche unerklärlich viele Notfall-Pauschalen verrechnen: Zum Beispiel der Hausarztnotfall Seeland berechnet 75 Prozent der Konsultationen als Notfälle, und die Notfallpraxis des Kantonsspitals Graubündens 80 Prozent. Beide Praxen betonten gegenüber dem Fernsehen, dass sie korrekt und nur effektive Notfälle abrechnen würden.
Der Titel Notfallpraxis berechtigt nicht zum Zuschlag
Siegrist sagt jedoch: «Man kann nicht jeden Patienten als Notfall behandeln, nur weil man sich als Notfallpraxis betitelt.» Und auch im Tarmed steht: «Die Behandlung von nicht angemeldeten Patienten gilt nicht generell als Notfall oder als dringlich und rechtfertigt somit nicht in jedem Fall die Abrechnung von Leistungen.»
Als vorbildliche Notfallpraxis nannte das Fernsehen die Notfallpraxis Stauffacher. Sie setzt nach Angaben des medizinischen Leiters Felix Huber nur für die wirklichen Notfälle eine Notfallpauschale auf die Rechnung. Dementsprechend tief ist denn auch deren Anteil an der Gesamtzahl der Konsultationen, nämlich nur 1 Prozent.
Rückzahlungen in Millionenhöhe?
Die CSS will unrechtmässig verrechnete Notfallpauschalen nun bei der Zuger und auch bei einigen anderen Notfallpraxen zurückverlangen. Die Rückzahlungen könnten pro Praxis über eine Million Franken betragen, stellt Siegrist in Aussicht.
Was aber sagt eigentlich die Zuger Ärztegesellschaft, welche verantwortlich ist für die Notfallpraxis, zu den Vorwürfen der CSS? Deren Präsident, der Dermatologe und Venerologe Urs Hasse, wusste von nichts und findet es «ungewöhnlich, dass eine Krankenkasse via Fernsehen einer Praxis Falschabrechnungen vorwirft.»
«Kein systematischer Betrug»
Er ist der Meinung, dass die Notfallpraxis ihre Leistungen korrekt abrechne und sicher nicht systematisch betrüge, wie das suggeriert werde. Zu konkreten Einzelfällen kann er nicht Stellung nehmen.
So viel dürfen Ärzte für Notfälle verlangen
Tarmed, der einheitliche Tarif für ambulante ärztliche Leistungen in der Schweiz, sieht zehn verschiedene Arten von Notfall-Zuschlägen vor, unter anderen diese drei:
- Am einträglichsten ist die Notfallpauschale nachts: Dafür können die Ärzte 180 Taxpunkte, also 148 bis 175 Franken* verrechnen.
- Die Abend- und Wochenendpauschale beträgt 110 Taxpunkte, das heisst 90 bis 107 Franken.
- Tagsüber beträgt die Notfallpauschale 50 Taxpunkte, also 41 bis 49 Franken.
*Die Werte der Taxpunkte sind je nach Kanton verschieden: Den tiefsten Wert haben das Wallis, Zug, Luzern und Schwyz mit 82 Rappen, den höchsten der Jura mit 97 Rappen.