Ausgerechnet Medizinstudierende, Ärzte und besonders Ärztinnen sind von einem Phänomen betroffen, das Hochstapler-Syndrom heisst. Wer darunter leidet, ist nicht etwa ein Hochstapler, sondern hat das – unzutreffende – Gefühl, ein Hochstapler zu sein.
Betroffene sind überzeugt davon, dass der eigene Erfolg unverdient und nicht auf persönlichen Einsatz, Fachkompetenz und persönliche Fähigkeiten zurückzuführen ist.
Warum Ärztinnen und Ärzte besonders häufig darunter leiden? Die Erwartungen an sie sind hoch. Für viele Patienten ist es selbstverständlich, dass sie ihrer Arbeit stets oberste Priorität einräumen und immer wissen, was zu tun ist, erklärt das italienische
Gesundheitsportal «Univadis».
Solche Vorstellungen führen dazu, dass sich viele Ärztinnen und Ärzte überfordern und ihre persönliche Gesundheit zugunsten ihrer Arbeit vernachlässigen. Mit der Zeit entwickeln sie Angstgefühle, wenn sie ihren Patienten nicht im gewünschten Mass helfen können.
Fünf Typen des Hochstapler-Syndroms
- Die Perfektionisten sind wegen selbst auferlegten und unerreichbaren Zielen stets unsicher.
- Die Experten fühlen sich unzulänglich, weil sie glauben, zu wenig Kenntnisse für ihren Beruf zu haben.
- Die Superhelden überladen sich mit Arbeit, um sich von ihren Kollegen geschätzt zu fühlen.
- Die Naturgenies schämen sich, wenn sie sich anstrengen müssen, um eine Fertigkeit zu erlernen.
- Die Solisten glauben, dass es ein Zeichen von Schwäche sei, andere um Hilfe zu bitten.
Alle fünf Typen haben grosse intellektuelle und berufliche Selbstzweifel. Betroffene leben in ständiger Angst davor, als Betrüger entlarvt zu werden – trotz anhaltender Erfolge, die ihre Fähigkeiten beweisen.
Sie wollen kein Lob
Solche Personen weisen Lob zurück, sind extrem selbstkritisch und schreiben ihre Erfolge dem Glück oder zwischenmenschlichen Beziehungen zu und nicht ihren eigenen Fähigkeiten, Kenntnissen und Kompetenzen.
Bereits während des Studiums sind überdurchschnittlich viele Medizinstudierende vom Phänomen betroffen. Später im Beruf kommen weitere Risikofaktoren dazu, etwa häufig wechselnde Aufgabenbereiche. Das trägt zum Gefühl bei, ein ständiger Anfänger zu sein.
Wer ist speziell betroffen?
Auch negative berufliche Erfahrungen in der klinischen Praxis spielen eine Rolle, etwa ungünstige Ergebnisse für Patienten oder Beschwerden, abgelehnte Bewerbungen oder Manuskripte, schlechte Bewertungen in Ausbildungsprogrammen oder Bewertungen der Patientenzufriedenheit.
- Ärztinnen stärker davon betroffen sind als Ärzte.
- eher Jüngere und Unverheiratete darunter leiden.
- es an Universitätsspitälern häufiger vorkommt.
- es bei Kinder- und Notärztinnen und -ärzten verbreiteter ist.
- es am wenigsten in der Ophthalmologie, Radiologie und orthopädischen Chirurgie vorkommt.
So schützen sich Betroffene
Die Wissenschaftler geben Tipps für Ärztinnen und Ärzte, die sich im Berufsleben vom Hochstapler-Syndrom betroffen fühlen:
- Erinnern Sie sich an Ihre Leistungen, die Sie zu Ihrer beruflichen Rolle geführt haben, und würdigen Sie sie.
- Sprechen Sie mit vertrauenswürdigen Kollegen, die Ihre Leistungen bestätigen und Ihre Gefühle normalisieren können.
- Bekämpfen Sie den Perfektionismus, indem Sie akzeptieren, dass es in Ordnung ist, gut genug zu sein, wenn man die Herausforderungen eines anspruchsvollen Berufs bewältigt.
- Haben Sie Mitgefühl mit sich selbst.
- Seien Sie sich bewusst, dass das Hochstapler-Syndrom häufig vorkommt, insbesondere zu Beginn des Medizinstudiums, einer medizinischen Weiterbildung oder einer neuen Stelle.