Studie: Ein Viertel der Komapatienten versteht, wenn man mit ihnen spricht

Bewusstlos, aber nicht unbewusst: Menschen mit schweren Hirnverletzungen haben wohl häufiger noch kognitive Fähigkeiten als bisher gedacht.

, 20. August 2024 um 22:32
letzte Aktualisierung: 19. Oktober 2024 um 09:41
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Symbolbild: Thom Masat, Unsplash
Etwa ein Viertel der Patienten, die bewusstlos und unansprechbar sind, haben vielleicht trotzdem ein Bewusstsein: Sie merken es, wenn man mit ihnen spricht; sie verstehen Instruktionen; sie reagieren darauf und können sich entsprechend konzentrieren. Dies deutet eine Studie an, die ein internationales Team mit insgesamt 241 Testpersonen durchführte.
Sie alle hatten schwere Gehirnverletzungen erlitten. In den Experimenten erhielten sie kleine Aufträge, während ihre Aktivität zugleich mit MRI und/oder Elektroenzephalographie beobachtet wurde.
«Stellen Sie sich vor, dass Sie ihre Hand öffnen und schliessen», lautete beispielsweise eine Instruktion – gefolgt eine Zeit später von der Anweisung, nun wieder mit dieser Bemühung aufzuhören.
  • Yelena G. Bodien, Judith Allanson, Paolo Cardone, Arthur Bonhomme, Jerina Carmona, Camille Chatelle, Srivas Chennu, …, Nicholas D. Schiff et al.: «Cognitive Motor Dissociation in Disorders of Consciousness», in: «New England Journal of Medicine», August 2024.
  • DOI: 10.1056/NEJMoa2400645
  • Zur Mitteilung des federführenden Mass General Brigham.
Dabei zeigten die Aufzeichnungen von EEG und MRI, dass 60 Personen wiederholt auf die Instruktion reagierten. Die Autoren schliessen daraus, dass sich viele dieser hirnverletzten Menschen kognitive Fähigkeiten bewahrt haben, ja, dass sie denken – nur dass dies abgetrennt ist von ihren motorischen Fähigkeiten.
Tendenziell fanden sich solche Reaktionen eher bei jüngeren Patienten mit Hirntraumata – sowie nach längerer Verletzungszeit.

Neue ethische und klinische Fragen

«Gewisse Patienten mit einer schweren Hirnverletzung scheinen ihre Aussenwelt nicht zu bemerken. Wenn wir sie jedoch mit fortschrittlichen Techniken wie fMRT und EEG beobachten, sehen wir Gehirnaktivitäten, die etwas anderes vermuten lassen», sagt Studienleiterin Yelena Bodien vom Massachusetts General Hospital. «Diese Resultate werfen kritische ethische, klinische und wissenschaftliche Fragen auf: Wie können wir beispielsweise diese unsichtbare kognitive Kapazität nutzen, um eine Kommunikation zu schaffen und die weitere Genesung zu fördern?»
Ganz neu ist die Erkenntnis nicht. Schon frühere Studien zeigten, dass Patienten im Koma auf gesprochene Anweisungen reagieren (mehr). Die neue Erhebung – an der sich 38 Forscher aus sechs Ländern beteiligten – deutet aber an, dass viel mehr Patienten solch eine Trennung von geistiger Präsenz und motorischen Fähigkeiten haben könnten; die Autoren reden von Cognitive motor dissociation, und der Anteil könnte mehr als ein Viertel betragen.
Dass diese Cognitive motor dissociation verbreiteter sein könnte als bislang angenommen, zeigt ein weiteres Resultat jener Experimente: Die erwähnten Reaktionen im Gehirn zeigten sich nicht nur bei Menschen, die sonst gar nie sichtlich auf die Anweisungen reagierten, sondern auch bei Patienten, denen eine gewisse Reaktionsfähigkeit verblieben war.
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