Studie: Kinderärzte sind netter als Chirurgen

US-Forscher untersuchten, wie häufig es bei unterschiedlichen Spezialärzten zu Anzeigen kommt, weil sich diese nicht korrekt verhalten.

, 6. August 2024 um 05:13
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US-Chirurg bei der Arbeit  |  Bild: Aliburhan S on Unsplash
Gibt es medizinische Fachbereiche, in denen der Umgang unmanierlicher ist als in anderen? Dieser Frage ging eine grosse Kohortenstudie in den Vereinigten Staaten nach. Sie wertete die Daten von über 35’000 Spitalärzten aus. Oder genauer: Sie analysierte die Meldungen des Coworker Observation Reporting System.
Diese Datenbank wurde 2013 lanciert und nimmt Einträge auf, in denen das medizinische Personal das Fehlverhalten von Ärzten meldet. Insgesamt 193 amerikanische Spitäler, Klinikunternehmen und Praxis-Organisationen haben sich dem Coworker Observation Reporting System angeschlossen.
Nun wertete eine Team von Ärzten insbesondere des Vanderbilt University Medical Centers in Nashville die Einträge aus. Es nahm die Angaben zu den Medizinern aus allen Spitälern, die sich am Reporting System beteiligten – allerdings erst ab einer höheren Stufe: Assistenz- und Oberärzte (Residents und Fellows) wurden nicht berücksichtigt. Am Ende lagen Daten zu 35’100 Spitalmedizinern vor.
  • William O. Cooper, Gerald B. Hickson, Roger R. Dmochowski, et al.: «Physician Specialty Differences in Unprofessional Behaviors Observed and Reported by Coworkers», in: JAMA Network Open, Juni 2024.
  • doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.15331
Dabei hatten 9,1 Prozent mindestens eine Meldung eines Coworkers, die unprofessionelles Verhalten monierte.
Und: Am höchsten war die Quote bei den Chirurgen – sowie am tiefsten bei den Pädiatern.
Die Ergebnisse wurden kategorisiert in vier Hauptgruppen:
  • Nonsurgeon nonproceduralists: also beispielsweise Internisten, Psychiater und Dermatologen. Hier hatten 5,6 Prozent der Ärzte mindestens eine «Anzeige».
  • Notfallmediziner: Hier lag die Quote bei 10,9 Prozent.
  • Nonsurgeon proceduralists: also beispielsweise Kardiologen, Gastroenterologen und Radiologen. Hier waren 12,0 Prozent mindestens einmal notiert.
  • Chirurgisch tätige Ärzte: Hier erreichte der Wert 13,8 Prozent.
Ein ähnliches Bild ergab sich in der Totalbetrachtung: Nonsurgeon nonproceduralists tauchen unterdurchschnittlich in den Coworker-Reports aus (5,6 Prozent bei einem Schnitt von 12,8 Prozent), wobei hier nochmals die pädiatrisch tätigen Ärzte signifikant positiv herausstrahlten (3,6 Prozent).
In den Einträgen versammelten sich allerdings Verhaltensaspekte mit völlig unterschiedlicher Bedeutung:
  • Unklare oder respektlose Kommunikation (Beispiel: «Dr. X machte nur vage Angaben zur Dosierung und liess dann keine Rückfragen zu»);
  • Verantwortungsbewusstsein («Ich sagte Dr. Y, dass das Protokoll in diesem Fall verlangt, dass die Handschuhe gewechselt werden. Dr. Y sagte: Es ist sowieso alles schmutzig, da ist ein Handschuh-Wechsel nicht nötig.»).
  • Kompetenz («Dr. Z schien konfus und erinnerte sich offenbar nicht an den Patienten, den er zwei Tage zuvor gesehen hatte.»)
  • Integrität («Dr. Q berechnet einen Patientenbesuch, der gar nicht stattfand.»)
Aber immerhin: Über 90 Prozent der 35’000 Ärzte wurden im beobachteten Vier-Jahres-Zeitraum (2018 bis 2022) niemals beanstandet. Und weniger als 1 Prozent der beobachteten Ärzte fingen sich mehr als eine Nennung ein. Heikle Verhaltensmuster sind also die grosse Ausnahme.
Dennoch steht nun eine Frage zumindest im Kaffee-Raum: Sind die Chirurgen etwa eher Rüpel? Kaum. In der «Discussion» zu ihrer Studie setzen die Autoren das Ergebnis jedenfalls in einen anderen Rahmen. Erstens arbeiteten die Operateure in einem besonders stressreichen Ambiente – in dem dann auch die Coworkers eher in eine Konfliktsituation geraten. Und es sei ja klar, dass Chirurgen in Teams arbeiten, wo grosse gegenseitige Abhängigkeit besteht.

Wo wird eher gemeldet?

Ganz allgemein sind sie eher der Beobachtung von Mitarbeitern ausgesetzt, während beispielsweise Dermatologen eher mit den Patienten alleine sind.
Allerdings sei denkbar, «dass sich die Persönlichkeitsmerkmale von Chirurgen, Pflegern und anderen Fachleuten, die in perioperativen Umgebungen betreuen, unterscheiden von denen, die in anderen Bereichen tätig sind», so der Kommentar. «Diese Dynamik könnte sich auf die Häufigkeit unprofessioneller Verhaltensweisen auswirken – aber auch darauf, wie oft eine Person ein Fehlverhalten meldet.»
Dass auch berufstypische Charakterzüge hineinspielen, deutet ein anderes Ergebnis an: Die Notfallmediziner erreichten ebenfalls recht hohe «Anzeige-Werte». Und hier dürften ähnliche Gründe hineinspielen wie bei den Chirurgen: grosser Stress, hohe Abhängigkeit, viel Teamwork.
Doch auffällig war, dass die pädiatrisch tätigen Ärzte immer tiefere Werte hatten, selbst wenn sie im Notfall arbeiteten.
  • ärzte
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