Die Grundsätze zu den Tarifen im Krankenversicherungsgesetz sind in Artikel 43 formuliert. Einer dieser Grundsätze heisst: «Die Vertragspartner und die zuständigen Behörden achten darauf, dass eine qualitativ hoch stehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst günstigen Kosten erreicht wird.»
Vertragspartner sind Krankenversicherer und Leistungserbringer. Zweck von Tarifen ist demnach, dass gute gesundheitliche Versorgung sichergestellt wird. Als weitere Bedingung gilt, dass Ineffizienzen verhindert werden sollen. Tarife sollten nicht zu hoch und hoch genug sein und Fehlanreize zu Unter- wie Überversorgung verhindern.
Pius Gyger ist als Gesundheitsökonom beratend tätig und unter anderem Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Gesundheitspolitik SGGP, VR-Mitglied der Privatklinik Hohenegg sowie der AarReha Schinznach oder Mitglied von Expertsanté. In seiner Karriere arbeitete er in diversen Funktionen für die Versicherungsbranche.
Viele Beteiligte betonen regelmässig, die Verantwortung zu Sicherstellung der Versorgung liege bei den Kantonen. Die Verantwortung der Tarifpartner dafür wird systematisch unter den Teppich gekehrt.
In verschiedenen Bereichen wird seit längerem auf Versorgungslücken aufmerksam gemacht. In der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung wurde das auch von der Politik anerkannt. In der ärztlichen Grundversorgung und der Pflege deuten demographische Daten deutlich auf bestehende und kommende Versorgungsprobleme hin. Im Zuge der Genehmigung von Tarifstrukturverträgen wird von den Behörden eine Kostenfolgeschätzung einverlangt. Auf eine Versorgungsfolgenabschätzung wird verzichtet.
«Es ist augenscheinlich, dass die Tarifsituation massgeblich dazu beiträgt, dass nur sehr zögerlich in den Aufbau- und Ausbau von ambulanten Strukturen investiert wird.»
Aber es fragt sich, ob in Zeiten bestehender sowie drohender Versorgungsengpässe einfach zugeschaut werden soll, wie sich die Tarifpartner ihrer explizit formulierten Verantwortung entziehen.
Tarife haben zweifelsohne Auswirkungen auf die Angebotstrukturen. Gerade Tarifwerke, welche viele Leistungen abdecken, die zueinander in Relation gebracht werden (beispielsweise DRG oder Tarmed), können wegen technischen Entwicklungen bekanntlich zu Unter- oder Überdeckungen einzelner Leistungen führen – und daher zu Umschichtungen in der Angebotsstruktur.
Dieser Effekt trifft vor allem dann ein, wenn die Tarifstrukturen nur zögerlich weiterentwickelt werden oder die realen betriebswirtschaftlichen Verhältnisse systematisch verzerren.
Vorgaben verhindern
Auch akademische Diskussionen rund um die verschiedenen Tarifarten weisen darauf hin, dass die Ausgestaltung der Tarife je nachdem unterschiedliche Auswirkungen auf die das Angebotsstruktur hat. Es ist zu Beispiel augenscheinlich, dass die Tarifsituation im ambulanten Spitalbereich massgeblich dazu beiträgt, dass nur sehr zögerlich in den Aufbau- und Ausbau von ambulanten Strukturen investiert respektive der Abbau von stationären Strukturen angegangen wird. In zu vielen Bereichen rechnet sich das schlicht nicht.
«Strukturfolgen von Tarifsystem sind schwierig vorauszusagen – das sind Kostenfolgen allerdings auch.»
Ein weiteres Beispiel ist, wie die Kostenneutralitäts-Vorgabe in der Praxis umgesetzt wird. Auch wenn gute betriebswirtschaftliche Grundlagen für die Tarifierung vorliegen, verhindern diese Vorgaben, dass sich diese schlussendlich angemessen widerspiegeln. Das kann ebenfalls zu unerwünschten Wirkungen auf das Angebot führen.
Sollen unter diesen Umständen die genannten Grundsätze bei der Tarifierung in der Praxis künftig anders gehandhabt werden? Zugegeben, Strukturfolgen von Tarifsystem sind schwierig vorauszusagen – das sind Kostenfolgen allerdings auch. In Zeiten klar ersichtlicher und absehbarer Versorgungslücken reicht es nicht, wenn betroffene Leistungserbringer das aufzeigen. Es reicht auch nicht, nur von der Politik entsprechende Handlungen zu erwarten.
Systemimmanent muss diese Thematik zentraler Bestandteil der Tarifverhandlungen werden.