Fast nie erfährt die Öffentlichkeit die wahren Gründe, warum ein Kanton einer Ärztin oder einem Arzt die Bewilligung entzieht oder verweigert. Es liegt am Amtsgeheimnis und wie so oft am Datenschutz. Ein Entzug ist aber kein Hindernis, in einem anderen Kanton wieder tätig zu werden, wie mehrere Beispiele in der Vergangenheit zeigten.
Etwas anders liegen die Dinge bei einem Berufsverbot. Aber auch hier gibt es Möglichkeiten, die Sperre zu umgehen. So geschehen im Fall eines in der Schweiz verurteilten Arztes, der seit kurzem wieder in einer Hausarztpraxis tätig ist. Und zwar in Deutschland, 600 Kilometer von Zürich entfernt, wie Recherchen von Medinside zeigen. Der Name des Arztes ist der Redaktion bekannt.
Sexueller Übergriff in einem Ärztezentrum
In der Schweiz dürfte er nicht mehr praktizieren. Denn das Zürcher Obergericht hat ihm «lebenslänglich jede berufliche oder jede organisierte ausserberufliche Tätigkeit im Gesundheitsbereich mit direktem Patientenkontakt» verboten. Ausserdem ist dem Mann um die 50 «jede berufliche und jede organisierte ausserberufliche Tätigkeit» untersagt, die «einen regelmässigen Kontakt zu volljährigen, besonders schutzbedürftigen Personen umfasst».
Diese drastische Massnahme haben die Richter ergriffen, nachdem der Arzt wegen «Schändung» eine auf zwei Jahre bedingte Freiheitsstrafe von 15 Monaten erhielt, wie aus dem Urteil hervorgeht, das Medinside vorliegt. Dies, weil er eine damals 18-jährige Patientin mit Erkältungssymptomen zuerst digital-rektal und danach – ohne medizinische Notwendigkeit – vaginal untersuchte. Der Vorfall ereignete sich im Oktober 2019 in einem bekannten Ärztezentrum in Oerlikon im Kanton Zürich.
Nach Vorfall wieder als Hausarzt tätig
Der deutsche Arzt, der über 15 Jahre in der Schweiz als Hausarzt tätig war, wehrt sich immer noch gegen die Verurteilung. Er habe mit den Untersuchungen mögliche Ursachen wie eine Blinddarmentzündung oder eine Eileiter-Schwangerschaft ausschliessen wollen, behauptet er. Für die Staatsanwaltschaft war die Handlung aber «sexuell motiviert.» Er hat das Urteil an das Bundesgericht weitergezogen.
Für seine Karriere als Hausarzt hatte die Behandlung kurz danach erste Konsequenzen: Ihm war nach dem Vorfall gekündigt worden. Als Grund stand im Schreiben «sexuelle Übergriffe». Danach war der Mediziner als angestellter Hausarzt (mit Auflagen) bei einer ehemaligen Schweizer Arztpraxis-Kette und danach, bis zum Bewilligungsentzug, in einer kleinen Gemeinde im Zürcher Unterland tätig.
Aus moralischer Sicht zu bejahen
Nun ist der Mediziner wieder in Deutschland aktiv und behandelt Patientinnen und Patienten, die eine hausärztliche Versorgung benötigen. Ob das in der Schweiz verhängte Berufsverbot gegen den Facharzt für Allgemeine Innere Medizin auch in Deutschland gilt, dürfte aus moralischer Sicht zu bejahen sein, aus juristischer Sicht ist es aber nicht klar. Diesbezüglich laufen Abklärungen bei den Behörden in Deutschland. Wahrscheinlich dürfte die zuständige Ärztekammer über die Vorkommnisse aber nicht in Kenntnis gesetzt worden sein.
Das lebenslängliche Berufsverbot in der Schweiz hält ihn übrigens auch nicht davon ab, sich auf seiner Webseite in Deutschland weiterhin mit Mitgliedschaften der Ärzteverbindung FMH, des Verbands Schweizerische Assistenz- und Oberärzte (VSAO) oder der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin (SGIM) zu schmücken. Die FMH teilt diesbezüglich auf Anfrage mit, dass sie beim Entzug einer kantonalen Berufsausübungsbewilligung nicht automatisch informiert werde. Anders sei es, wenn die FMH Kenntnis von einem standeswidrigen Verhalten eines Mitgliedes der Ärzteverbindung habe. Dann werde man tätig und die entsprechende Standeskommission müsse den Fall beurteilen.