Das Kantonsspital Aarau spricht von «einer gewissen Verrohung der Gesellschaft», das Kantonsspital Baden von einer Resignation der Mitarbeitenden. Die Rede ist - einmal mehr - von der Zunahme von Gewaltvorfällen an Schweizer Spitälern.
Auf Initiative von SVP-Grossrätin Nicole Heggli-Boder hat das Departement Gesundheit und Soziales (DGS) des Kantons Aargau eine Umfrage bei zwanzig Aargauer Spitälern und anderen Gesundheitseinrichtungen durchgeführt. Vor allem die grossen Kliniken wie das Kantonsspital Aarau, das Kantonsspital Baden oder die Psychiatrischen Dienste Aargau verzeichnen eine Zunahme von gewalttätigen Vorfällen.
Wie die aktuelle Auswertung zeigt, habe die Heftigkeit und teilweise die Brutalität der Reaktionen von Patienten am KSA in den letzten Jahren stetig zugenommen, schreibt die
«Aargauer Zeitung».
«Eine gewisse Verrohung der Gesellschaft» führe zu schwierigeren und anspruchsvolleren Interventionen des Sicherheitsdiensts, heisst es vom KSA weiter. Am Kantonsspital Baden seien vor allem Mitarbeitende auf dem Notfall und den Intensivstationen vermehrter Gewalt ausgesetzt, es verbreite sich eine zunehmende Resignation und Abstumpfung unter den Mitarbeitenden: «Das erklärt aus Sicht des KSB auch den Rückgang der Meldungen seit 2021.»
Die Aargauer Regierung möchte die Sicherheitsdienste der Notfallstationen nun mit mehr Geld unterstützen, 1,65 Millionen Franken sind dafür vorgesehen.
90 Prozent von Gewalt betroffen
Für die meisten Gesundheitsfachpersonen sind gewalttätige Patienten inzwischen traurige Realität, gemäss einer Auswertung des Bundesamtes für Statistik werden 90 Prozent im Laufe ihres Berufslebens damit konfrontiert - manche von ihnen bereits ab Tag Eins ihrer Ausbildung.
So erzählte mir vor kurzem eine Fachfrau Gesundheit im 1. Lehrjahr, dass ihre Kollegin so schwer von einem Infusionsständer getroffen wurde, den ein Angehöriger nach ihr schmiss, dass sie dabei am Arm verletzt wurde.
Dass Patienten oder deren Angehörige das Pflegepersonal beschimpfen, Drohungen aussprechen oder gar physisch gewaltätig werden, sei «Normalität», erklärte mir die zukünftige Pflegefachfrau - in einer Selbstverständlichkeit, die zu denken gibt.
Tatsache ist, dass Gesundheitsfachpersonen, nach Polizei und Sicherheitsleuten, unter allen Berufen am zweithäufigsten von Aggressions- und Gewaltereignissen am Arbeitsplatz betroffen sind. 2023 mussten die Kantonspolizeien über 70-mal wegen schwerer Drohungen an Schweizer Spitälern und Kliniken aktiv werden, wie eine Auswertung des Bundesamts für Statistik für den
«SonntagsBlick» im vergangenen Frühling zeigte. Dazu wurden gemäss dem Bericht rund 490 Gewaltstraftaten registriert.
Und auch eine
Umfrage von Medinside im vergangenen Jahr bestätigte: Verbale und körperliche Gewalt in Spitälern nimmt stetig zu, Zahlen werden jedoch kaum erfasst. Das stellt auch Pflegefachmann und Aggressions-Trainer Stefan Reinhardt fest. Im
Interview mit Medinside sagte er: «Die Erfassung bedeutet für die Spitäler ein zusätzlicher Zeitaufwand, der in der angespannten Lage mit Personalmangel schwierig zu bewältigen ist».
Dabei sei es besonders wichtig, dass diese Problematik angegangen werde, schliesslich halten gewaltbereite Patienten das Personal von ihren Kernaufgaben ab, nehmen viel Zeit und Ressourcen in Anspruch und veranlassen so manchen dazu den Beruf zu verlassen.
Reinhardt erinnert sich an einen besonders dramatischen Fall: «Ich kannte einen Assistenzarzt auf dem Notfall, der nahm einen Baseballschläger mit zur Nachtschicht. Das war sein Sicherheitsmanagement. Glücklicherweise kam der Schläger nie zum Einsatz». Für das Verhalten gewalttätiger Patienten und Angehöriger gäbe es heute kaum Konsequenzen – das müsse sich dringend ändern.