Explodierende Krankenkassenprämien, Fachkräftemangel, Gesundheitskostenbremse, Spitalschliessungen und Medikamentenmangel: Das sind nur einige Stichworte, die den Zustand des Gesundheitswesens derzeit prägen. Unnötige Behandlungen, Privatisierungen, Dividendenausschüttungen und Rekordergebnisse bei Pharmafirmen zeigen eine andere Seite.
Barbara Gysi, Nationalrätin SP, ist Vizepräsidentin der Sozial- und Gesundheitskommission und Präsidentin des Gewerkschaftsbund St. Gallen.
Eine allen zugängliche und bezahlbare Gesundheitsversorgung ist zunehmend in Frage gestellt. Die massiv steigenden Krankenkassenprämien und Gesundheitskosten belasten die Menschen finanziell. Das intensive Lobbying und die fehlende Transparenz in der Gesundheitspolitik werden immer mehr kritisiert.
«Der Druck nimmt sogar noch zu, weil Spitäler in finanzielle Schieflage geraten und Personal entlassen.»
Das Parlament ist mit dieser Wahl nach rechts gerückt. Doch es ziehen einige Persönlichkeiten aus dem Sozial- und Gesundheitswesen neu ins Parlament ein. Es ist offen, ob sie sich einbringen können, oder ob weiterhin die Lobbys von Versicherungen, Pharma- und Leistungserbringer-Verbänden die Kommissionen kapern und quasi als Vetomächte Veränderungen blockieren.
Auf das neue Parlament und die neue Bundesrätin im Innendepartement warten grosse Herausforderungen. Die Covid-Pandemie hat Spuren hinterlassen. Das Gesundheitspersonal ist am Anschlag. Die Umsetzung der Pflegeinitiative und bessere Arbeitsbedingungen lassen auf sich warten.
Der Druck nimmt sogar noch zu, weil Spitäler in finanzielle Schieflage geraten und Personal entlassen. Die mit der Einführung des DRG- Systems einherschreitenden Privatisierungen schwächen die Grundversorgung.
«Statt ernsthaft die Mengenausweitung zu bekämpfen und die Transparenz zu erhöhen, fliesst immer mehr Geld zu den Spezialisten.»
Doch statt beispielsweise degressive oder differenzierte Tarife zu fördern, ernsthaft die Mengenausweitung zu bekämpfen und die Transparenz zu erhöhen, fliesst immer mehr Geld zu den Spezialisten, werden geheime Preisabsprachen gesetzlich verankert und das Silodenken verteidigt.
Oder es werden populistische Massnahmen gepusht, die nichts als bürokratischen Mehraufwand bringen, wie etwa die 50-Franken-Gebühr bei «Bagatellfällen» im Spitalnotfall.
Der Politik muss es gelingen, die verschiedenen Akteurinnen ins Boot zu holen, aber auch Planungsgrundsätze zu verankern. Wir brauchen endlich eine nationale Versorgungsplanung ohne kantonale Alleingänge, und eine gute und koordinierte Versorgung mit einer Sicherstellung der Grundversorgung für alle in allen Regionen.
«Es braucht eine stärkere Mitfinanzierung durch die öffentliche Hand über Steuern.»
Dafür braucht es aber auch eine stärkere Mitfinanzierung durch die öffentliche Hand über Steuern. Mit den laufend steigenden Kopfprämien und den hohen Out-of-Pocket-Beiträgen sind die wenig und mittelverdienenden Menschen längst am Anschlag. Die medizinisch-technische Entwicklung, neue Medikamente und Medizinalprodukte und die Forschung dürfen nicht ungebremst zu höheren Prämien führen, sondern müssen zumindest teilweise solidarisch finanziert werden.
«Die Fehlanreize, die zu Überversorgung und Mengenausweitung führen, müssen beseitigt werden.»
Die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Behandlungen (EFAS) ist nur dann eine Chance, wenn sie nicht dazu führt, dass sich die Kantone finanziell entlasten und die Krankenversicherer ihre Macht ausbauen können. Die Fehlanreize im System, die zu Überversorgung und Mengenausweitung in lukrativen Bereichen und Unterversorgung in der Grundversorgung führen, müssen beseitigt werden.
«Es wird mitentscheidend sein, wie die Sozial- und Gesundheitskommissionen zusammengesetzt werden, ob die Dominanz der Interessenvertretenden durchbrochen werden kann.»
Schaffen wir es, gemeinsam Ziele zu formulieren, das Wohl der Menschen ins Zentrum zu stellen und über die Staatsebenen hinweg Lösungen zu finden? Oder steht weiterhin die Verteidigung von Partikularinteressen im Vordergrund? Es wird mitentscheidend sein, wie die Sozial- und Gesundheitskommissionen zusammengesetzt werden, ob die Dominanz der Interessenvertretenden durchbrochen und mehr Transparenz hergestellt werden kann.
Nicht minder spannend sind die Bundesrätinnenwahlen: Wer leitet in Zukunft das Innendepartement? Gelingt es dem neuen Bundesrat, die Blockaden zu lösen? Dazu braucht es Offenheit und Gesprächsbereitschaft, aber auch eine klare Haltung gegenüber überrissenen Forderungen.
Das Gesundheitswesen ist an einem heiklen Punkt. Bei allen Diskussionen über die Kosten dürfen wir nie vergessen, dass wir darauf angewiesen sind, und auf die Menschen, die es am Laufen halten. Ihnen müssen wir Sorge tragen.