Es kommt zigfach vor: Eine Person stürzt, der Arzt diagnostiziert eine Rotatorenmanschetten-Ruptur, operiert die verunfallte Person und der Unfallversicherer verweigert die Zahlung mit der Begründung, der Riss sei vorbestehend gewesen.
Die meisten der Verunfallten schlucken die bittere Pille; einige wenige konsultieren den Ombudsmann; andere erheben Einsprache.
Einsprachen sind teuer
Einsprachen sind für Unfallversicherungen stets mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Vertrauensärzte verfassen für viel Geld einen Bericht, manchmal mehrmals.
Deshalb der Trick: «Ich gebe Dir 1000 Franken; und Du verzichtest auf die Einsprache». Eine Win-win-Situation, könnte man meinen. Zumindest für Unfallversicherer kommen solche Vergleiche günstiger zu stehen als das juristische Geplänkel mit all den dazu gehörenden medizinischen und juristischen Gutachten.
Aber ist ein solcher Vergleich überhaupt rechtens? Ja, sagt Visana und verweist auf Art. 50 Abs. 1 des ATSG, dem Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts. Dort steht klipp und klar: «Streitigkeiten über sozialversicherungsrechtliche Leistungen können durch Vergleich erledigt werden.» Von dieser Möglichkeit mache auch Visana in bestimmten Fällen Gebrauch.
Ombudsmann ist überrascht
Martin Lorenzon ist Ombudsmann der Privatversicherung und der Suva. Zu allererst war er überrascht zu hören, dass Visana verunfallten Personen Vergleiche anbietet. Von sozialversicherungsrechtlichen Vergleichen habe er in seinen bald 13 Jahren als Ombudsmann noch nie gehört.
Lorenzon bestätigt, dass Vergleiche im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich möglich seien. «Aber nur bei bestehenden rechtlichen oder tatsächlichen Unklarheiten, damit ein Rechtsverhältnis von den Parteien vertraglich geordnet werden kann, um die bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen.»
Laut Martin Lorenzon darf ein UVG-Versicherer somit nicht bewusst eine gesetzwidrige Vereinbarung abschliessen oder von einer von ihm als richtig erkannten Gesetzesanwendung im Sinne eines Kompromisses abweichen. «In der Verfügung des Versicherers, in welcher der Vergleich festgehalten wird, braucht es zudem eine Begründung, Inwieweit der Vergleich mit dem Sachverhalt und dem Gesetz übereinstimmt», erklärt der Ombudsmann auf Anfrage.
Was sagt die Krankenkasse zum Vergleich?
Ähnlich überrascht wie der Ombudsmann ist Ueli Kieser, Professor für Sozialversicherungsrecht. Auch für ihn sind solche Vergleiche im Sozialversicherungsrecht heikel, auch wenn sie im ATSG grundsätzlich vorgesehen sind. «Vergleiche werden abgeschlossen, wenn die Sache damit definitiv bereinigt werden kann.» Aber hier könnte es einen Rückfall geben – und zudem müsste ja auch die Krankenversicherung mit dem Vergleich einverstanden sein, weil sie nun die Kosten zu tragen hat.
Auch wegen solcher Bedenken sehen andere Unfallversicherer von Vergleichen ab. «Nein, solche Vergleiche machen wir nicht», heisst es bei der Suva. Es sei immer das Ziel festzustellen, ob ein Unfall beziehungsweise Unfallfolgen vorlägen. Entsprechend erfolge die Kostenübernahme der jeweiligen Versicherungen.
Auf dem Buckel der Krankenkasse?
Auch Sympany will von Vergleichen nichts wissen und spricht das Problem an, auf das auch Ueli Kieser aufmerksam macht: «Es werden keine Deals auf dem Buckel von Krankenversicherungen ausgehandelt», sagt Sympany.
Bei Helsana wiederum heisst es: «Wir pflegen keine solche Praxis und haben auch keine Kenntnis von solchen Anfragen.» Und Swica sagt auf Anfrage: «Wir vertreten die Auffassung, dass wir das entscheiden, was nach sorgfältiger Abklärung als richtig beurteilt wird. Somit benötigt es auch keinen Vergleich, weil es dann korrekt ist, dass die Krankenversicherung die Kosten zu übernehmen hat.»
Einzig Groupe Mutuel bestätigt von den angefragten Unfallversicheren, «in medizinisch oder rechtlich schwer zu beurteilenden Fällen ausnahmsweise einen Vergleich vorschlagen.» Vorgeschlagen werden könne zum Beispiel eine begrenzte Leistung oder eine Leistung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder eine Pauschalsumme zur Abgeltung aller Ansprüche.
Suva warnt vor den Spätfolgen
Für Unfallopfer könnte es sich auf den ersten Blick lohnen, einem Vergleich in der Höhe der Krankenkassen-Franchise zuzustimmen. Doch für die Suva greift diese Betrachtungsweise zu kurz. Gerade bei Schulterverletzungen könnten die Auswirkungen sehr viel weitergehen als die Heil- und Operationskosten. Besonders ins Gewicht fallen die Taggeldkosten bei Arbeitsunfähigkeit und allenfalls sogar langfristige Leistungen wie Invalidenrenten. «Auch darf das Risiko von Spätfolgen und Rückfällen nicht ausser Acht gelassen werden».