Berner Arzt hat Aufklärungspflicht doch nicht verletzt

Im Fall einer Nasen-OP mit Komplikationen verneint das Bundesgericht eine Pflichtverletzung eines Berner HNO-Arztes. Die Vorinstanzen haben noch anders entschieden.

, 19. Januar 2023 um 08:57
image
Ärzte müssen sich manchmal jahrelang gegen Vorwürfe von Patienten wehren, wie dieser Fall zeigt. | JC Gellidon on Unsplash
Vor knapp zehn Jahren war es im Kanton Bern nach einer Nasennebenhöhlen-OP zu Komplikationen gekommen. Die Polypen-Entfernung führte bei einem Patienten zu einem Hirnwasseraustritt, was mit 0.2 bis 0.5 Prozent selten vorkommmen kann. Das nicht besonders gravierende Vorkommnis einer Spannungs-Pneumencephalon wurde drei Tage später mit einer Notfall-Operation korrigiert.
Der Patient wollte dies nicht hinnehmen. Er verlangte – infolge eines angeblich erlittenen Erwerbsschadens – über 45'000 Franken vom Arzt. Sowohl das Regional– als auch das Berner Obergericht verneinten zwar einen Behandlungsfehler. Sie bejahten aber eine Haftung, weil der HNO-Arzt der ärztlichen Aufklärungspflicht «nicht hinreichend» nachgekommen sei. Fazit: Er habe für sämtliche Folgen des Eingriffs zu haften.

Streit endet Jahre später vor Bundesgericht

Es sei nicht erstellt, dass eine mündliche Erläuterung erfolgt sei, so die Begründung. Die Abgabe eines Merkblatts über Nebenwirkungen und Komplikationen allein genüge der Aufklärungspflicht nicht – selbst in Bezug auf sehr unwahrscheinliche Komplikationen. Hinzu komme, dass auf dem Aufklärungsbogen nichts vom Patienten angekreuzt worden sei, dass er diesen «gelesen und verstanden» habe.
Der Facharzt HNO zog den Fall mit seinem Berner Anwalt Lukas Wyss an das Bundesgericht weiter. Er stellte sich auf den Standpunkt, den Patienten nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt zu haben, und stellte in Abrede, die erforderliche Aufklärung unterlassen zu haben. Der Mediziner verweist diesbezüglich unter anderem auf die dafür bezahlten Arztrechnungen und auf eine dem Patienten gezeigte «Power-Point-Präsentation». Grundsätzlich obliegt es dem Arzt zu beweisen, dass er den Patienten ausreichend informiert und dieser in den Eingriff eingewilligt hat.

Keine Haftungsvoraussetzung gegeben

Das höchste Gericht in der Schweiz gibt dem Arzt nun Recht. Es beurteilt den Sachverhalt anders als die Vorinstanzen, wie aus einem kürzlich publizierten Entscheid hervorgeht. Die ärztliche Aufklärung sei grundsätzlich nicht an eine bestimmte Form gebunden. Es sei vielmehr anhand der Umstände im Einzelfall zu entscheiden – zum Beispiel in Bezug auf das medizinische Vorwissen und die intellektuellen Fähigkeiten eines Patienten, so das Bundesgericht.
Der Patient hatte ausdrücklich die Möglichkeit, das Merkblatt zu Hause zu studieren, dort Fragen vorzubereiten und diese Fragen zu stellen. Darauf verzichtete er aber. So sagte er gemäss Urteil denn auch aus, sein Wissen, dass jede Operation mit Risiken verbunden sei, habe ihm «gereicht», weshalb er «nicht direkt» nach Risiken der Operation gefragt habe. Dem Arzt könne deshalb keine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht vorgeworfen werden. Die Richter aus Lausanne weisen den Fall zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurück. Der Patient muss die Gerichtskosten von 3'000 Franken tragen und dem behandelnden Arzt für das bundesgerichtliche Verfahren mit 3'500 Franken entschädigen.
  • 4A_315/2022, Urteil vom 13. Dezember 2022

  • ärzte
  • gericht
  • Behandlungsfehler
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Ehemaliger HUG-Chefarzt und Covid-Experte wechselt zu Privatspital

Jérôme Pugin wurde in Genf bekannt als Intensivmediziner und Symbolfigur im Kampf gegen Covid. Nun wird er medizinischer Direktor des Hôpital de La Tour.

image

Bundesrat regelt das militärische Gesundheitswesen

Bisher fehlten in der Schweiz spezielle Regeln für das militärische Gesundheitswesen. Nun will der Bundesrat diese Lücke füllen.

image

Hohe Auszeichnung für CHUV-Forscher

George Coukos wurde in die U.S. National Academy of Medicine für Krebsforschung gewählt.

image

Ex-BAG-Vizedirektor rügt hohe Kosten der Spezialärzte

Die Schweiz sei ein Paradies für Spezialarzt-Behandlungen, sagt der ehemalige BAG-Vize Oliver Peters. Weil es keine Kostenkontrolle gebe.

image

Chefarzt tritt nach 16 Jahren zurück

Das Kantonsspital Obwalden ist auf der Suche nach einem neuen Chefarzt für die Innere Medizin. Thomas Kaeslin will kürzertreten.

image

Aargau: Ärzteverbands-Präsident im Parlament

Bei den kantonalen Wahlen wurde Thomas Ernst als Vertreter der FDP in den Grossen Rat gewählt.

Vom gleichen Autor

image

Arzthaftung: Bundesgericht weist Millionenklage einer Patientin ab

Bei einer Patientin traten nach einer Darmspiegelung unerwartet schwere Komplikationen auf. Das Bundesgericht stellt nun klar: Die Ärztin aus dem Kanton Aargau kann sich auf die «hypothetische Einwilligung» der Patientin berufen.

image

Studie zeigt geringen Einfluss von Wettbewerb auf chirurgische Ergebnisse

Neue Studie aus den USA wirft Fragen auf: Wettbewerb allein garantiert keine besseren Operationsergebnisse.

image

Warum im Medizinstudium viel Empathie verloren geht

Während der Ausbildung nimmt das Einfühlungsvermögen von angehenden Ärztinnen und Ärzten tendenziell ab: Das besagt eine neue Studie.