Vor knapp zehn Jahren war es im Kanton Bern nach einer Nasennebenhöhlen-OP zu Komplikationen gekommen. Die Polypen-Entfernung führte bei einem Patienten zu einem Hirnwasseraustritt, was mit 0.2 bis 0.5 Prozent selten vorkommmen kann. Das nicht besonders gravierende Vorkommnis einer Spannungs-Pneumencephalon wurde drei Tage später mit einer Notfall-Operation korrigiert.
Der Patient wollte dies nicht hinnehmen. Er verlangte – infolge eines angeblich erlittenen Erwerbsschadens – über 45'000 Franken vom Arzt. Sowohl das Regional– als auch das Berner Obergericht verneinten zwar einen Behandlungsfehler. Sie bejahten aber eine Haftung, weil der HNO-Arzt der ärztlichen Aufklärungspflicht «nicht hinreichend» nachgekommen sei. Fazit: Er habe für sämtliche Folgen des Eingriffs zu haften.
Streit endet Jahre später vor Bundesgericht
Es sei nicht erstellt, dass eine mündliche Erläuterung erfolgt sei, so die Begründung. Die Abgabe eines Merkblatts über Nebenwirkungen und Komplikationen allein genüge der Aufklärungspflicht nicht – selbst in Bezug auf sehr unwahrscheinliche Komplikationen. Hinzu komme, dass auf dem Aufklärungsbogen nichts vom Patienten angekreuzt worden sei, dass er diesen «gelesen und verstanden» habe.
Der Facharzt HNO zog den Fall mit seinem Berner Anwalt Lukas Wyss an das Bundesgericht weiter. Er stellte sich auf den Standpunkt, den Patienten nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt zu haben, und stellte in Abrede, die erforderliche Aufklärung unterlassen zu haben. Der Mediziner verweist diesbezüglich unter anderem auf die dafür bezahlten Arztrechnungen und auf eine dem Patienten gezeigte «Power-Point-Präsentation». Grundsätzlich obliegt es dem Arzt zu beweisen, dass er den Patienten ausreichend informiert und dieser in den Eingriff eingewilligt hat.
Keine Haftungsvoraussetzung gegeben
Das höchste Gericht in der Schweiz gibt dem Arzt nun Recht. Es beurteilt den Sachverhalt anders als die Vorinstanzen, wie aus einem kürzlich publizierten Entscheid hervorgeht. Die ärztliche Aufklärung sei grundsätzlich nicht an eine bestimmte Form gebunden. Es sei vielmehr anhand der Umstände im Einzelfall zu entscheiden – zum Beispiel in Bezug auf das medizinische Vorwissen und die intellektuellen Fähigkeiten eines Patienten, so das Bundesgericht.
Der Patient hatte ausdrücklich die Möglichkeit, das Merkblatt zu Hause zu studieren, dort Fragen vorzubereiten und diese Fragen zu stellen. Darauf verzichtete er aber. So sagte er gemäss Urteil denn auch aus, sein Wissen, dass jede Operation mit Risiken verbunden sei, habe ihm «gereicht», weshalb er «nicht direkt» nach Risiken der Operation gefragt habe. Dem Arzt könne deshalb keine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht vorgeworfen werden. Die Richter aus Lausanne weisen den Fall zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurück. Der Patient muss die Gerichtskosten von 3'000 Franken tragen und dem behandelnden Arzt für das bundesgerichtliche Verfahren mit 3'500 Franken entschädigen.
- 4A_315/2022, Urteil vom 13. Dezember 2022