Das dürfte uns in der Schweiz bekannt vorkommen: Eigentlich sollte das Gesundheitswesen digitalisiert werden – aber die Beteiligten wollen einfach nicht mitmachen. Genauso läuft es derzeit in Deutschland.
Auch bei uns nicht der «Normalfall»
In unserem Nachbarland sollen ab nächstem Jahr alle Ärzte elektronische Rezepte ausstellen. Das sei übrigens im Ausland «der Normalfall», sagte der Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Wobei er wohl nicht an die Schweiz dachte.
Mit dem E-Rezept soll Deutschland die «Aufholjagd» bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens beginnen. Künftig soll es keine Papierrezepte mehr geben.
Die deutsche Gesundheitskarte: Unser EPD
Die Patienten können ihre Rezepte dann nur noch mi einer App auf ihrem Smartphone oder mit ihrer Gesundheitskarte – diese entspricht etwa unserem Elektronischen Patientendossier (EPD) – einlösen.
Die Ärzte wollen nicht so schnell
Für die Ärzte in den rund 185’000 Praxen ist die Umstellung allerdings nicht attraktiv. Ein elektronisches Rezept wäre zwar einfacher und schneller ausgestellt als die bisherigen Papiervorlagen.
Aber zuerst müssen die Ärzte ihre Praxisverwaltungs-Systeme anpassen – und davon gibt es in Deutschland gegen 200 verschiedene. In der Schweiz gibt es mehr als 20 verschiedene Systeme.
Blockiert Funktionen
In Deutschland heisst es, dass «E-Rezept-Funktionen in allen relevanten Praxissystemen nutzbar» seien. Doch wie «Die Zeit» berichtete, zeigte sich bereits, dass das nicht so reibungslos funktioniert. Es gibt Systeme, die beim Rezept-Ausstellen andere Funktionen blockieren, was viel Zeit kostet.
Daraus könnte die Schweiz lernen: Elektronische Rezepte und natürlich auch das Elektronische Patientendossier (EPD) müssen von Anfang an reibungslos auf den Systemen laufen – sonst holt man die Ärztinnen und Ärzte nicht an Bord.
Schon 20 Jahre daran
Wie bei uns ist auch Deutschland schon länger am Diskutieren und Planen – aber richtig eingeführt wurde noch nichts. Das Projekt E-Rezept ist in Deutschland bereits 20 Jahre alt.
Immerhin gibt es in Deutschland aber schon die elektronische Gesundheitskarte – während das schweizerische EPD noch immer am Dümpeln ist.
Sicherheitslücke
Bei der Gesundheitskarte gelang es in Deutschland, die Datenschutzbedenken zu überwinden. Doch beim E-Rezept gewannen diese dann die Überhand. Und zwar mit gutem Grund.
Ein Pilotversuch in gut 200 Praxen, welche letzten Herbst das E-Rezept testen sollten, musste abgebrochen werden. Datenschützer hatten eine Sicherheitslücke gefunden und konnten ohne Pin oder Identitätsprüfung auf Versichertendaten zugreifen.
Wie unser elektronisches Impfbüchlein
Das erinnert stark an die Sicherheits-Debakel mit dem elektronischen Impfbüchlein und dem Organtransplantations-Register in der Schweiz.
Daraus sollte die Schweiz die Lehren ziehen: Sicherheitslücken beim EPD oder beim E-Rezept kann sie sich in keinem Fall leisten. Sonst ist alle Mühe um deren Einführung vergeblich.
Nun auch ohne App möglich
In Deutschland sollen Patienten künftig auf sicherem Weg E-Rezepte über ihre Gesundheitskarte in der Apotheke auslesen können. Davon verspricht sich das Gesundheitsministerium nun mehr Erfolg.
Denn von der Lösung per App, die es schon seit etwa zwei Jahren gibt, haben bisher die wenigsten Patienten Gebrauch gemacht. Von rund 465 Millionen Rezepten wurden letztes Jahr nicht einmal 3 Millionen als E-Rezepte eingelöst.
Mit Karte mehr Erfolg
Offenbar sind die Patienten nun aber eher geneigt, ihre Rezepte mit dem Vorweisen ihrer Gesundheitskarte einzulösen.
Für die Schweiz könnte das ein wichtiger Hinweis sein: Lassen sich mit dem EPD in jeder Apotheke elektronische Rezepte einlösen, könnte das der Digitalisierung einen Schub verleihen.
Apotheken sträubten sich
Und das würde auch den Apotheken entgegenkommen. In Deutschland fürchteten diese, wegen des E-Rezepts ihre Kunden an Online-Apotheken zu verlieren.
Viele Patienten gehen nämlich vor allem aus einem Grund lieber in die Apotheke vor Ort: Weil es ihnen zu aufwendig ist, ein Papierrezept per Post einzureichen. Werden Rezepte elektronisch aussgestellt, fällt diese Hürde weg. Das Einlösen in einer Versand-Apotheke ist viel einfacher.
So holt man die Apotheken an Bord
Anders sieht es aus, wenn Patienten ihre Rezepte auch mit ihrer Gesundheitskarte einlösen können. Dann profitieren wiederum die Apotheken vor Ort.
Auch für die Schweizer Apotheken könnte das ein Argument sein: Je einfacher und schneller sich ein E-Rezept bei ihnen einlösen lässt, umso weniger Kunden verlieren sie an Online-Apotheken.