Zur Mittagszeit liegt im ältesten Hotel der Stadt Zürich eine besondere Atmosphäre in der Luft. Dann treffen sich Geschäftsleute aus der ganzen Welt, um beim Business Lunch Geschäfte zu besprechen und um Beziehungen zu pflegen.
An einem runden Tisch im Restaurant des «Storchen», das Paracelsus gekannt und Richard Wagner beherbergt haben soll, sitzt Axel Müller und blickt durch seine Brille auf die verregnete Altstadt. «Schade, können wir nicht draussen sitzen», äussert der frisch pensionierte ehemalige Chef von Intergenerika* etwas wehmütig.
Von New York in den Aargau
Die Terrasse an der Limmat ist einer seiner Lieblingsplätze. Doch nicht etwa deshalb, weil sich die etablierte Gesellschaft dort trifft, um sich von einem Gourmet-Koch verwöhnen zu lassen. «Ich verbringe hier gerne Zeit, weil man neben den Gaumenfreuden eine einmalige Aussicht auf die Zürcher Altstadt, den Zürichsee und, bei gutem Wetter, auf die Schweizer Alpen hat.»
Und Städte hat Axel Müller während seiner Karriere in führenden Positionen bei nationalen und internationalen Pharmariesen viele gesehen. Mehr noch: Gemeinsam mit seiner Frau lebte er in Grossstädten wie München, London oder New York bis er sich 2007 in einem kleinen Aargauer Dorf niederliess.
CEO mit Swing
«Schauen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen. Erst kürzlich sind zwei neue Songs von mir heraus gekommen. Sie dürfen reinhören, wenn Sie mögen», so Müller, der keinen Anschein macht, über seine Karriere sprechen zu wollen. Dann erklingt der schwingende Rhythmus des Songs «How about you» aus seinem Handyplayer.
Axel Müller ist leidenschaftlicher Frank-Sinatra-Interpret. Schon während der Zeit als CEO bei Intergenerika grub er in seiner Freizeit Songs aus den 60er-Jahren heraus, arrangierte die Stücke neu, um sie danach in einem professionellen Orchester im Tonstudio aufzunehmen.
Die Fans klicken
Ganz im Stil seiner US-amerikanischen Ikone, will er ein Video zu «How about you» drehen lassen – «selbstverständlich im Tuxedo. Die jungen Leute finden das cool», so Müller, der sich über seine wachsende Fan-Gemeinschaft freut.
Seine Musik, die auf Musikkanälen wie Youtube, Apple-Music oder Spotify zu finden sind, stosse vor allem in der Schweiz und in Deutschland auf Interesse:
Mehrere Tausend Downloads verzeichnet «Mister Axel», der ab und zu auch für Konzerte die Live-Bühne betritt; «allerdings nur im privaten Rahmen», fügt er an und schmunzelt.
Sofort ist klar: Müller macht keine halben Sachen, weder im Job noch in seiner Freizeit. Es wundert daher kaum, dass er bei seinem zweiten Hobby, das er seit über zehn Jahren ehrgeizig betreibt, auf dem Siegerpodest steht und als Schweizermeister im Tontaubenschiessen an nationale aber auch internationale Wettkämpfe reist.
Eine Chemie, die stimmt
Axel Müller entspricht nicht dem Klischee, das man von einem knallharten Manager erwarten würde. Die Chemie am runden Tisch im «Storchen» stimmt. Und mit Chemie hat der Ex-Intergenerika-CEO so einiges am Hut.
Müller, der Ende Oktober pensionierte wurde, blickt auf eine 30-jährige Karriere in führenden Positionen bei nationalen und internationalen Pharmariesen wie Novartis, Siegfried, Acino, Skyepharma oder Aenova zurück. Drei Jahrzehnte lang hat sich der Apotheker von der Forschung über die Entwicklung bis hin zur Vermarktung mit allen Aspekten des Pharmageschäfts auseinandergesetzt.
Robin Hood der Patienten
Zu Beginn der Pandemie im März 2020 reiste Müller mit seinen Erfahrungen im Gepäck nach Bern. Zum ersten Mal in seiner Geschichte hatte der Bundesrat ein spezielles Gremium, den Ad-hoc-Krisenstab Corona, zusammengerufen. 14 Führungspersonen wurden damit beauftragt, die Krisenbewältigung und deren Folgen für die Gesundheitsversorgung zu koordinieren.
«Generika müssen in der Schweiz teurer sein.»
Ein neues Gesicht war er in Bundesbern nicht. Nachdem Müller 2016 zu Intergenerika gestossen war, politisierte er und mischte zum Beispiel bei den Rahmenbedingungen, die es zur Vermarktung von Generika braucht, mit. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er, als er sich als «Robin Hood der Patienten», wie er in den Medien genannt wurde, erfolgreich gegen die Pläne des Bundesrats für ein Referenzpreissystem bei Generika widersetzte.
Der richtige Riecher
«Man muss sich fragen, weshalb jemand Apotheker wird», sagt Müller und lacht. «Als ich zum ersten Mal eine Apotheke betrat, war ich zehn Jahre alt», erinnert er sich. «Den Geruch, der mir in die Nase stieg, werde ich niemals vergessen. Ich mag ihn noch heute.»
«Ursprünglich wollte ich Anthropologe werden.»
Fasziniert vom Apotheker, dessen zusammengemischter Hustensaft seinen hartnäckigen Husten endlich linderte, hatte der kleine Axel seinen Traumberuf gefunden. «Mein Studium habe ich nie bereut, auch wenn ich ursprünglich Anthropologe werden wollte.»
Müller hatte den richtigen Riecher – das steht in Anbetracht seiner Karriere ausser Debatte. Debattieren könnte man mit ihm über die Preise von Generika, die in der Schweiz nach wie vor einiges teuer sind als im benachbarten Ausland. Darauf angesprochen, wirkt Müller allerdings etwas gelangweilt.
Von der Apotheke der Welt
Generika seien teurer in der Schweiz und das müsse auch so sein. «Hier werden deutlich kleinere Mengen produziert als im nahen Ausland.» Doch mit der Produktion sei es nicht getan: «Die Medikamente müssen durch Swissmedic zugelassen werden.»
«Mit Generika sparen wir jährlich eine Milliarde Schweizer Franken ein.»
Dann braucht es eine Verpackung und einen Beipackzettel in drei Sprachen.» Das koste alles Geld. «Trotzdem sind Generika bis zu 70 Prozent günstiger als die originalen Arzneimittel, womit wir in der Schweiz jährlich eine Milliarde Franken einsparen.»
Dann wird Müller nachdenklich. Die geopolitische Lage, die Zuwanderung, die Versorgungsknappheit sowie die Abhängigkeit von China und Indien bereiten ihm grosse Sorgen. «Bis in die 90er-Jahre waren die Schweiz und Deutschland noch die Apotheken der Welt.» Heute kämpfe man gegen einen Medikamentenmangel, der wegen Lieferschwierigkeiten und -engpässen aus Asien drohe.
«Verheerende» Prognosen
«Die Null-Covid-Strategie Chinas führt zu Transportkosten, die beinah so hoch sind wie die Produktion der Medikamente selbst.» Der Preisdruck bei den Generika sei auch deshalb hoch, weil das Bundesamt für Gesundheit (BAG) jedes Jahr die Preise von gewissen Medikamenten senke.
«Als Ibuprofen um 43 Prozent gesenkt wurde, erhielten wir nur noch sechs Rappen pro Tablette für unser Präparat», macht der Ex-Intergenerika-CEO ein Beispiel.
«Es gibt Hersteller, die aus dem Markt aussteigen werden, sollten sich die Preise weiter so entwickeln.»
Generika braucht es: «Sie machten während der Pandemie 80 Prozent der Wirkstoffe aus und halfen, diese Zeit zu überwinden. Schraubt man hier weiter, nimmt das kein gutes Ende.» Tatsache sei: «Die Preise von Generika gehen nur nach unten, nicht nach oben. Es gibt Hersteller, die aus dem Markt aussteigen werden, sollten sich die Preise weiter so entwickeln. Das wäre verheerend.»
Notlage realistisch?
Deshalb plädierte Axel Müller in seinen letzten Monaten als Mister Generika dafür, dass Europa wieder anfängt, selber Wirkstoffe zu produzieren. «Sollte es uns mit Medikamenten aus China so ergehen, wie mit dem Gas aus Russland, könnte das sehr gefährlich werden.»
«Wer hätte gedacht, dass Atomkraftwerke wieder interessant werden und in Deutschland Kohle verstromt wird?»
Eine solche Notlage erachtet Müller als realistisch: «Wer hätte gedacht, dass Atomkraftwerke wieder interessant werden und in Deutschland Kohle verstromt wird?»
Müllers Hyptohese
«Gemeinsam mit europäischen Partnern müsste es möglich sein, die rund 20 bis 25 essenziellen Wirkstoffe – darunter Insulin-Präparate, Mittel zur Senkung von Blutdruck und Cholesterin, antivirale und antibakterielle Medikamente, Schmerzmittel, Narkotika und so weiter – ausserhalb von China oder Indien zu produzieren, und deren Supply sicherzustellen», lautet seine Hypothese.
Damit würden die Preise für Medikamente zwar teurer. Doch das sei immer noch besser als diese Abhängigkeit. Mit diesen Sorgen ist Müller nicht alleine – so beschäftigt sich etwa eine BAG-Arbeitsgruppe mit der Versorgungssicherheit von Medikamenten. «Ich bin der, der am lautesten bellt», sagt Müller und lacht.
Die Freiheit geniessen
Jetzt wird es wohl etwas ruhiger um Axel Müller werden. Im Juni entschloss er sich dazu, einem jüngeren CEO Platz zu machen. Seit Anfang November ist der 65-Jährige pensioniert. «Die Tätigkeit bei Intergenerika war faszinierend und mit meinem politischen Wirken sehr lehrreich.»
Sein Erfolgsrezept? Wer einen Verband vertritt muss Menschen mögen und ein guter Kommunikator sein. «Es gibt aber noch ein Leben nach dem Job» – ein Leben mit einigen Luxusproblemen:
«Ewig werde ich das nicht aushalten.»
«Hat man die Möglichkeit frei zu wählen, was man im Alter tut und wohin man geht, ist das gar nicht so einfach», meint der Pensionierte und schmunzelt in aller Ruhe. Dass er sich für einen Beirat oder Verwaltungsrat zur Verfügung stellt, schliesst er nicht aus.
Anfragen hatte er schon einige. Doch bevor er sich wieder verpflichtet, möchte er eine Zeit lang nichts in seiner Agenda stehen haben und seine Freiheit geniessen. Die Krux: «Ewig werde ich das nicht aushalten», sagt Müller und lacht. Deshalb steht er mit seiner Beratungsfirma, die er kürzlich gegründet hat, bereits in den Startlöchern.
Bessere Chefs durch Schiessen
Und dann wären da noch seine Hobbys: «Ich bin einer der besten Tontaubenschützen der Schweiz und habe inzwischen angefangen, die Disziplin zu unterrichten.» In seinem Video, das auf
Youtube zu finden ist, verzeichnet er inzwischen über 30'000 Ansichten.
Er ist einer der besten Tonstaubenschützen der Schweiz: Axel Müller. | zvg
«Das hätte ich nie für möglich gehalten. Ein weiteres Ziel könnte sein, Seminare für Führungskräfte zu geben, in welchem Tontauben geschossen werden und ich gleichzeitig anderes Wissen vermittle.» Manager würden sehr rational denken.
«So kann man aber keine Tontaube treffen. Beim Tontaubenschiessen muss man dem Instinkt Vorrang geben – eine angeborene Eigenheit, die uns mit den Neandertalern verbindet.»
Das Unterbewusstsein sei zehn Mal schneller, als die kognitiven Fähigkeiten. «Damit haben Manager Mühe; sie wollen kontrollieren und mit Kontrolle alleine kann man kein guter Manager werden.» Ein Manager müsse Zuhören können, berechenbar sein, authentisch in Stresssituationen bleiben und Mitarbeitern helfen, beruflich wie privat, erfolgreich und zufrieden zu werden.
*Intergenerika ist die Vereinigung der führenden Generikafirmen in der Schweiz. Sie repräsentieren über 90 Prozent des Generika-Volumens in der Schweiz. Hier finden Sie weitere Informationen. Zur Person:
Axel Müller ist gebürtiger Deutscher und wohnt seit 2007 zusammen mit seiner Frau, einer Apothekerin, in einem kleinen Dorf im Kanton Aargau, wo er sich einbürgern liess. Der 65-Jährige (1957) ist promovierter Apotheker und verfügt über 30 Jahre Erfahrung in der Pharmaindustrie, wobei er Führungspositionen in kleinen und grossen Unternehmen bekleidete, meist mit Spezialisierung auf Generika. Von Mai 2016 bis Oktober 2022 amtete Axel Müller als Geschäftsführer von Intergenerika.
Neben seiner anspruchsvollen Arbeit als Manager war und ist Axel Müller weiterhin auch Frank Sinatra-Interpret und Schweizermeister im Tontaubenschiessen. Weiter beschäftigt er sich mit den Verhaltensweisen der Neandertaler und deren Einfluss auf unser heutiges Leben. Damit hat er die Anthropologie, die er als Kind studieren wollte, zu seinem Hobby gemacht und hält Vorträge.
Neue Porträt-Serie:
Mit dem Porträt über Axel Müller eröffnet Medinside eine neue Porträt-Serie. Ziel ist es, einen Blick hinter die Kulissen von Persönlichkeiten aus dem Gesundheitswesen zu werfen und aufzuzeigen, was es dazu braucht, um erfolgreich in der Branche zu wirken. Gesucht sind Chefs, die die Branche bewegen, bewegen möchten oder bewegt haben.
Interessierte dürfen sich gerne an info@medinside.ch wenden.