Das lukrative Sponsoring von Selbsthilfegruppen

Wenn Pharmafirmen Krebs-, oder Lungen-Ligen unterstützen, ist dies nicht Barmherzigkeit – sondern ein einträgliches Geschäft.

, 24. Mai 2023 um 05:15
image
Es ist ein schwieriges Thema: Pharmahersteller treten als Sponsoren von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen auf. Auf diese Weise können die Firmen Patienten direkt für ihre Produkte gewinnen und müssen nicht den Umweg über die Ärzte nehmen. Diese Form von Sponsoring kann die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit von Patientenorganisationen in Frage stellen.

Es gibt Richtlinien

Deshalb haben vor zwanzig Jahren einige Patientenorganisationen Richtlinien zum Sponsoring formuliert. So müssen die Selbsthilfe-Organisationen primär den Betroffenen verpflichtet sein und nicht den Interessen des Sponsors. Ausserdem dürfen Pharma-Unternehmen nicht selber Pseudo-Patientenorganisationen gründen und damit versteckte Ziele verfolgen.

Österreich kontrolliert

Ob diese Richtlinien in der Schweiz greifen, ist schwer zu beurteilen. In Österreich hingegen befasst sich das Austrian Institute für Health Technology Assessment (AIHTA) seit einigen Jahren mit dieser Frage. Und zwar untersucht Claudia Wild, Geschäftsführerin des AIHTA, regelmässig die monetären Zuwendungen von Pharmafirmen an Selbsthilfegruppen in Österreich.

Lungenkranke und Bluter am meisten Sponsoren

Sie stellt fest: «Hohe Sponsoringbeträge erhalten besonders jene Organisationen, die teure Medikamente empfehlen können.» Auf Platz eins der Zuwendungen steht die in Wien domizilierte europäische Lungenhochdruck-Vereinigung, welche vorletztes Jahr 252’000 Euro erhalten hat. Gefolgt von der Österreichische Hämophilie-Gesellschaft (ÖHG) mit rund 195’000 Euro.

Teure Gentherapien für Bluter

Claudia Wild vermutet besonders beim Sponsoring der Hämophilie-Gesellschaft einen Zusammenhang mit der Entwicklung von neuen, teuren Gentherapien. «Der Preis pro Behandlung beläuft sich auf bis zu zwei Millionen Euro», sagt sie.

Zu wenig offengelegt

Sie stellt aber auch fest: Oft informieren die Selbsthilfegruppen zu wenig deutlich über solche Interessenskonflikte – auch dann nicht, wenn sie bestimmte Medikamente vorstellen oder empfehlen.
Das Problem bei solchen Geldflüssen ist: Einige Selbsthilfe-Organisationen haben grosses Gewicht – so gross, dass sie zum Beispiel Druck auf Krankenkassen ausüben können, wenn es darum geht, dass bestimmte Medikamente in den Leistungskatalog aufgenommen werden.

Patienten werden ermuntert

Ausserdem können dies Organisationen mit entsprechenden Informationen dafür sorgen, dass Patienten ein neues Medikament ausprobieren möchten. Die Patienten wiederum erwarten dann von ihren Ärzten, dass sie das neue Medikament verschreiben.

Pharma zu Offenheit bereit

Bisher kritisierte die AIHTA, dass Pharmafirmen ihr Sponsoring zu wenig offenlegen. Eine frühere Untersuchung hat gezeigt, dass nur 39 von 115 Firmen bereit waren, über ihre Sponsoring-Aktivitäten zu informieren. Das hat sich geändert: In Österreich informieren nun 90 von 115 Firmen, wie die neuste Analyse zeigt.

Es gibt vorbildliche Firmen

Für die Schweiz gibt es keine ähnlichen Erhebungen. Eine Stichprobe von Medinside zeigt jedoch: Es gibt vorbildliche Pharmafirmen, welche ihr Sponsoring offen darlegen. Dazu gehören etwa:
  • Sanofi unterstützt in der Schweiz unter anderem das Allergiezentrum AHA (mit 27'000 Franken) und die Rheumaliga (mit 15'000 Franken).
  • Roche finanziert unter anderem die Patientenorganisation SMA (spinale Muskelatrophie) mit 63'500 Franken. Je 30'000 Franken erhalten die Basler Krebsliga und Retina Suisse (Netzhauterkrankungen).
  • Abbvie zahlte unter anderem gut 30'000 Franken an die Crohn-Colitis-Vereinigung. Ähnliche Beträge gingen ans Allergiezentrum AHA. Die Rheumaliga erhielt 23'000 Franken.
  • Bayer gab je um die 50'000 Franken für Retina Suisse und die Schweizerische Herzstiftung aus.
  • Takeda unterstützt unter anderem die Hämophilie-Gesellschaft (gut 23'000 Franken) und den Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten (gut 31'000 Franken).
  • medikamente
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Bürokratie-Fiasko beim Zugang zu Medikamenten

Eine internationale Studie zeigt: Bürokratie ist in der Schweizer Gesundheitsversorgung ein grosses Problem. Gleichzeitig erschweren veraltete Prozesse den Zugang zu innovativen Medikamenten. Lösungen lägen auf dem Tisch – doch die Politik droht, die Situation noch zu verschlimmern.

image

EU gibt Novartis grünes Licht für Kisquali gegen Brustkrebs im Frühstadium

Der Wirkstoff Ribociclib soll insbesondere Patientinnen helfen, bei denen das Risiko besteht, dass sie einen Rückfall erleiden.

image

Antibiotika-Therapie: In Praxen und Kliniken immer noch suboptimal

In Baden-Württemberg erforschte man den Antibiotika-Einsatz in zehn Spitälern. Heraus kam ein halbes Dutzend heikler Punkte.

image

Mehr als die Hälfte der Medikamente war zu teuer

Nach der diesjährigen Arzneimittelüberprüfung des BAG sinken die Listenpreise von 300 Produkten.

image

Apothekerverband darf sich nicht über Santésuisse beschweren

Santésuisse darf behaupten, dass sich Apotheken mit Medikamenten-Teilpackungen «die Kassen füllen».

image

Swissmedic: Neues Mitglied im Expertengremium

Es ist Christian Kamm, Co-Chefarzt und Leiter der stationären Neurologie des Luzerner Kantonsspitals.

Vom gleichen Autor

image

«Hausarzt ist kein Beruf, den man subventionieren muss»

Ein Arzt macht vor, wie eine Berggemeinde zu medizinischer Versorgung kommt. Und er kritisiert Kollegen, die einfach ihre Praxis schliessen.

image

Pflegefachleute verschreiben so sachkundig wie Ärzte

Das dürfte das Pflegepersonal freuen: Es stellt laut einer US-Studie genauso kompetent Arzneimittel-Rezepte aus wie Ärzte.

image

Temporär-Arbeit in der Pflege: Ein Angebot mit Haken

Es gibt gute Gründe für Pflegefachleute, sich nur noch temporär anstellen zu lassen. Aber es gibt auch ein paar gute Argumente dagegen.