Eine Minute und neun Sekunden beträgt momentan der Rückstand auf die schnellste Fahrerin: die 30-jährige Genferin Elise Chabbey ist nach drei Etappen an der Tour de France noch in der Spitzengruppe dabei. Elise Chabbey ist wie Marlen Reusser, die andere schnelle Schweizerin an diesem Rennen, Ärztin.
Während Corona ans HUG zum Helfen
Und zwar eine sehr pflichtbewusste: Als 2020 die Velorennen für die Profi-Fahrerinnen wegen Corona ausfielen, meldete sich die promovierte Ärztin kurzerhand beim Genfer Universitätsspital HUG. Das Spital hatte zu wenig Personal. «Nichts zu tun liegt wirklich nicht in meiner Natur», sagte sie damals.
Tagsüber arbeitete Elise Chabbey am Genfer Universitätsspital HUG, abends trainierte sie auf dem Rennvelo. | Wikimedia
Sie hängte aber gleichzeitig nicht den Radsport an den Nagel. Abends, wenn sie vom Spital nach Hause kam, setzte sie sich aufs Rennvelo und drehte ihre Trainingsrunden.
Einst Kanutin
Ursprünglich war Elise Chabbey Kanutin und nahm mit dieser Sportart an den Olympischen Spielen 2012 in London teil. Dann legte sie eine Sportpause ein, um ihr Medizinstudium zu beenden.
2016 begann Chabbey mit dem Radrennsport. 2021 gewann sie eine Etappe der Tour de Suisse Women. Im September 2022 wurde sie gemeinsam mit Mauro Schmid, Stefan Küng, Stefan Bissegger, Marlen Reusser und Nicole Koller Weltmeisterin in der Mixed-Staffel.
Körperbewusstsein
Ist es Zufall, dass die derzeit schnellsten Velorennfahrerinnen beide Ärztinnen sind? Wohl nicht ganz. Als Ärztinnen kennen sie ihren Körper besser als andere, wissen eher, wie er reagiert und was sie ihm zumuten können.
So
sagt Marlen Reusser: «Ich verzichte weitgehend auf Supplemente und spezielle Protein-Produkte und versuche, mich saisonal, regional und nach biologischem Standard zu ernähren. Am liebsten aus Mamas Garten! Seit Kindesbeinen bin ich Vegetarierin.»
«Der Arztberuf läuft mir nicht davon»
Viel weniger als Elise Chabbey hadert Marlen Reusser mit ihrer beruflichen Zukunft.
Gegenüber Medinside sagte Reusser letztes Jahr: «Der Arztberuf läuft mir nicht davon, das Velofahren schon. Darum war es für mich gar keine so schwierige Entscheidung zu sagen, ich probiere das einfach mal.»
«Verpasse ich den Anschluss?»
Elise Chabbey hingegen fragt sich ab und zu, ob und wie sie in die Medizin zurückkehren soll. Sie fürchtet, den Anschluss zu verlieren, wenn sie zu lange wartet.
Marlen Reusser sieht das lockerer: «Ich müsste einfach vorher hinter die Bücher, um mich wieder auf den aktuellen Wissensstand zu bringen. Ja, und dann hätte ich schon Lust, es wieder zu versuchen», sagte sie zu Medinside.
Und ihrer Sportkollegin riet sie: «Hör auf zu denken und geniesse es.»
Die Tour de France der Frauen
Seit letztem Sonntag fahren die Frauen die Tour de France, heute Mittwoch ist es die vierte Etappe. Die diesjährige Austragung dauert acht Tage, also bis Sonntag, 30. Juli, und führt über 956 Kilometer. Die Tour de France der Männer ist das wichtigste Velorennen der Welt und wird seit 1903 ausgetragen. Die Frauen durften bisher nur sporadisch eine eigene, oft stark verkürzte Variante fahren. Letztes Jahr fand zum ersten Mal seit 2016 wieder eine Frauen-Tour in Frankreich statt.