Intelligente Diagnose: KI-Ansätze aus Bern und Basel stärken die Herzmedizin

Ein Berner Team erkennt Anomalien der Herzkranzgefässe mit KI, während ein Basler Kardiologe die Herzinfarktdiagnose via Troponin-Werten verbessert – ausgezeichnet mit dem Forschungspreis der Herzstiftung.

, 4. April 2025 um 03:54
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KI meets Kardiologie: Jasper Boeddinghaus, USB — Christoph Gräni, Universität Bern  |  Bilder: PD
Eine Forschungsgruppe des Inselspitals und der Universität Bern hat ein KI-Tool entwickelt, das Anomalien der Herzkranzgefässe in CT-Bildern präzise erkennt und einordnet. Koronaranomalien werden oft vom Auge übersehen – können aber insbesondere bei jungen Menschen zu plötzlichem Herztod oder Herzinfarkt führen: Fast ein Drittel der unerwarteten Todesfälle von jungen Athletinnen und Athleten sind auf solche fehlabgehenden Herzkranzgefässe zurückzuführen, so eine Mitteilung der Universität Bern.
Das Team unter der Leitung von Christoph Gräni und Isaac Shiri nutzte nun eine grosse Menge an Herz-CT Bildern, um einen Algorithmus zu trainieren: Insgesamt wurden über 4‘000 CCTA-Bilder von 2‘400 Patientinnen und Patienten analysiert – wovon wiederum 335 Personen von einer Koronaranomalie betroffen sind.

Erst Segmentierung, dann Klassifizierung

Im AI-Tool erfolgt in einem ersten Schritt die Bildsegmentierung, bei der die relevanten anatomischen Strukturen von den umgebenden Geweben getrennt werden. Beim nachfolgenden Klassifizierungsschritt sucht das System nach Anomalien und bestimmt, von wo das anomale Herzkranzgefäss aus der Aorta abgeht und wie es verläuft. Das Modell wurde mit externen Datensätzen in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Zürich validiert sowie an einem öffentlich zugänglichen Datensatz getestet.
«Der KI-gestützte Algorithmus erkennt die Herzfehlbildungen direkt in den Bildern und bestimmt automatisch die Art der Anomalie», so Christoph Gräni: «Das Modell zeigte dabei eine überraschend hohe Präzision und konnte sogar Grenzfälle identifizieren, bei denen sich selbst Experten und Expertinnen uneinig waren.» Damit könnte es gut möglich werden, das Tool in klinische Arbeitsabläufe zu integrieren – zum Beispiel, indem es Echtzeit-Warnungen für potenziell risikoreiche Anomalien liefert und Bildgebungspezialisten bei der klinischen Diagnose unterstützt.

Preis der Herzstiftung an USB-Kardiologen

Der Forschungspreis 2025 der Schweizerischen Herzstiftung geht an den Jasper Boeddinghaus. Der Kardiologe am Universitätsspital Basel hat ein Verfahren entwickelt, mit dem man mit KI den Herzinfarkt rascher und genauer diagnostizieren oder ausschliessen kann. Die Basis bildet dabei der Troponin-Test. Heute wird bei zu vielen Patientinnen und Patienten ein Herzinfarkt vermutet, da diese Tests hochsensibel sind. Und sie arbeiten mit festen, für alle gültigen Grenzwerten.
Nur: Ältere Menschen oder Personen mit chronischen Nieren- oder Herzerkrankungen haben dauerhaft höhere Troponin-Werte.
Um die Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarkts mittels Troponin-Werten besser einschätzen zu können, hat Jasper Boeddinghaus einen neuen Algorithmus entwickelt. Dabei werden Faktoren «hineingerechnet», die den Troponin-Wert beeinflussen – etwa Alter, Geschlecht und Nierenfunktion, aber auch das EKG.
Die KI, die Jasper Boeddinghaus mit einem Team der Universität Edinburgh trainierte, erhielt Daten von 20'000 Patientinnen und Patienten. Am Ende konnte der neue Algorithmus Herzinfarkte genauso sicher diagnostizieren wie das herkömmliche Verfahren. Vor allem: Er erkennt mehr Patienten, die ein tiefes Risiko haben und bei denen man einen Herzinfarkt ausschliessen kann.
Zudem ist das Verfahren flexibler. Bislang braucht es zwei zeitlich klar festgelegte Troponin-Messungen. Neu reicht eine einzige Troponin-Messung aus oder eine zusätzliche innerhalb der nächsten 24 Stunden.
Dies dürfte die Betreuung der Betroffenen auf der Notfallstation verbessern – und obendrein die Spitäler entlasten.
Für diese Arbeiten erhält Jasper Boeddinghaus den mit 20'000 Franken dotierten Forschungspreis der Herzstiftung.


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