Es ist eine Verdoppelung: Zum ersten Mal gelang es Forschern, menschliche Embryos zwei Wochen lang ausserhalb des Körpers zu kultivieren. Die alte Höchstmarke für ein Präimplantations-Embryo in der Laborschale hatte bei sieben Tagen gelegen.
Die Ergebnisse, erzielt von Wissenschaftlern der Universität Cambridge sowie der Rockefeller University in New York, wurden dieser Tage in «Nature» und «Nature Cell Biology» veröffentlicht.
Blick in die «Black Box» der Entwicklung
Der Schritt eröffnet einerseits neue wissenschaftliche Chancen – könnte aber auch neue ethische Debatten lancieren. In der angelsächsischen Öffentlichkeit kam sogleich die Frage auf, wann nun die künstliche Gebärmutter – respektive der
«artificial womb» – zur Realität werde (siehe etwa
hierhierhier, hier und hier)
Für die beteiligten Teams in England und den USA steht indes die Hoffnung im Zentrum, nun schrittweise ein weiteres und vertieftes Verständnis zu erlangen für eine entscheidende Phase der menschlichen Entwicklung – eine Phase, die aber bislang nur schwer erforschbare war und quasi als «Black Box» empfunden wurde.
Verbesserte In-Vitro-Befruchtungen, Einflüsse mütterlichen Alkohol-Konsums, Autismus, die Wirkung gewisser Chemikalien auf die embryonale Entwicklung, neurologische Effekte von Viren – all dies Aspekte, deren Erforschung durch «Labor-Embryonen» mit längerer Überlebenszeit erleichtert werden könnte.
Grundsätzlich hätte der Versuch auch verlängert werden können – der Abbruch geschah wegen einer in Grossbritannien (wie vielen anderen Ländern) gültigen Einschränkung: Danach dürfen Versuche an menschlichen Embryos nur innerhalb der ersten 14 Tage nach der Befruchtung getätigt werden; in der Schweiz liegt die Grenze bei sieben Tagen.
Jetzt akuter: Die Frage der «Labor-Embryonen»
Natürlich betreffen die Meldungen aus Cambridge und New York nicht direkt die Frage, über welche die Schweizer Stimmbürger am 5. Juni entscheiden werden: Dabei geht es um Erleichterungen bei der künstlichen Fortpflanzung – wozu aber auch gehört, dass mehr Embryonen zur künstlichen Befruchtung geschaffen werden dürfen.
Die «Laborschalen-Embryonen» aus Cambridge und New York könnten hier allenfalls den Eindruck unterstützen, dass Embryonen bald verstärkt und erleichtert als «Forschungs-Material» gezüchtet werden; eine Befürchtung, die von den Gegnern des geplanten Fortpflanzungs-Paragraphen bekanntlich stark ins Feld geführt wird.
Zu erwähnen ist deshalb auch, dass Vertreter von drei US-Universitäten in Cleveland und New York den jetzt verkündeten Durchbruch zum Anlass nahmen, um – ebenfalls in «Nature» – die gesetzliche 14-Tage-Einschränkung zu kritisieren und zur Disposition zu stellen.
Insoo Hyun, Amy Wilkerson, Josephine Johnston: «Embryology policy: Revisit the 14-day rule», in: «Nature», Mai 2016.Die 14-Tages-Grenze entstammt der Einsicht, dass sich danach der so genannte Primitivstreifen bildet, womit der bisherige «Zellhaufen» eine erkennbare Kopf- und Schwanz-Struktur erhält – und sich nicht mehr, wie zuvor denkbar, auch in diverse Individuen aufspalten könnte. Dies lässt sich also so interpretieren, dass hier ein kritischer Punkt ist, an dem ein Individuum entsteht.
Homepage der Cambridge University, Donnerstag, 5. Mai 2016.