Ärzte verschreiben mehr Fitness, Training und Bewegung, und die Kassen übernehmen dann die entsprechenden Kosten: Diese Idee wollen sowohl Fitnesstrainer als auch Wissenschaftler durchsetzen – per Antrag beim Bundesamt für Gesundheit.
Anders formuliert: Bewegungs- und Sportprogramme sollen gegen gewisse Krankheiten als medizinische Leistung anerkannt werden. Dies berichtet die
«NZZ am Sonntag», und die Zeitung zitiert dabei Lukas Zahner vom Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel: «Bewegung hat in vielen Fällen dieselbe Wirkung wie ein Medikament. Wenn ein Patient sich lieber bewegt als ein Medikament einnimmt, sollte man dies folglich also auch genauso unterstützen.»
Wer steht dahinter? Die Fitness- und Gesundheitscenter
Hinter dem Projekt steht der Verband der Fitness- und Gesundheitscenter. Dabei geht es in einem ersten konkreten Fall um ein Trainingsprogramm namens Corpura. Dieses Ausdauer- und Krafttraining könne gegen diverse Leiden wirken, etwa gegen Depressionen oder bei Herz-Kreislauf-Problemen.
Ihren Antrag auf Kostenübernahme wollen die Promotoren aber in einem ersten Schritt auf Diabetes Typ 2 begrenzen, so die «NZZ am Sonntag» weiter. Die Idee: Hier könnte ein personalisiertes Trainingsprogramm etwa den Blutzucker-Senker Metformin ersetzen.
Wirksam, zweckmässig, wirtschaftlich
Laut Bewegungswissenschaftler Zahner hat sein Institut genug Belege dafür, dass Sport mindestens so gut wirke wie das Medikament. Vom Institut für Präventivmedizin der Universität Zürich komme zugleich der Befund, dass die Behandlung auch wirtschaftlich ist, also nicht mehr kostet als der Einsatz von Medikamenten.
Mit dem BAG haben die Initianten bereits erste Gespräche geführt. Ziel des Verbands der Fitnesscenter ist es, einen generellen Antrag auf Kostenübernahme von Corpura bei Diabetes-2-Patienten durch die Grundversicherung zu stellen.
Wollen die Kassen oder müssen sie?
Das BAG verweist darauf, dass die Grundversicherung schon heute gewisse Bewegungstherapien vergütet, etwa zur Behandlung von krankhafter Adipositas – sofern die Leistungen unter ärztlicher Leitung erbracht werden.
Etwas wird damit definitiv klar: Bewegung und Sport wird die Krankenversicherer in nächster Zeit mehr und mehr beschäftigten:
- Auf der einen Seite spielen die Kassen ja selber mit dem Gedanken, die Versicherten via Wearables zu einem gesunden Lebensstil zu motivieren – und ein entsprechendes Verhalten zu belohnen; zum Beispiel macht die CSS derzeit einen Test mit einem digitalen Präventionsprogramm, bei dem unter anderem geprüft wird, wie sehr die Leute bereit wären, sich via einen Schritte-Zähler überwachen zu lassen. Und in Deutschland bietet Generali demnächst eine Police an, die eine gesündere Lebensweise mit günstigeren Prämien belohnt.
- Auf der anderen Seite wird in der Schweiz demnächst die Unterschriftensammlung für die Initiative «Ja zur Bewegungsmedizin» gestartet. Der Polit-Vorstoss fordert, dass Fitnesscenter-Kunden ihr Abo und «alle Personen, die sich gesundheitswirksam bewegen» ihre entsprechenden Kosten von der Krankenkassenprämie abziehen können.
In der «NZZ am Sonntag» erinnert Lukas Zahner daran, dass heute 97 Prozent der Ausgaben für die kurative Medizin eingesetz werden – und nur 3 Prozent für Prävention. «Wollen wir die Kosten einigermassen in den Griff bekommen, müssen wir dieses Verhältnis ändern und mehr für die Vorbeugung tun.»
Wellensurfen auf Rezept: Der Versuch in Biarritz
In der französischen Atlantikstadt Biarritz läuft derzeit ein ebenso simpler wie praktischer Versuch, Medikamente durch Bewegung zu ersetzen: 22 Ärzte stellen, sofern sie es für medizinisch angebracht halten, Rezepte für sportliche Tätigkeiten aus – etwa bei kardiovaskulären, psychischen oder orthopädischen Erkrankungen.
Diese Rezepte können dann bei den zuständigen Instanzen eingelöst werden, beispielsweise in einem örtlichen Fitnessstudio oder – im weltberühmten Atlantik-Wellen-Hotspot – bei einem Surflehrer.
Die Idee dahinter ist, dass dies am Ende die Krankenkasse übernimmt; beim Testlauf in Biarritz sichern derzeit noch die Gemeinde plus zwei Stiftungen die Bezahlung der Rezepte. Das Projekt ist nicht nur getragen von einem präventiven Gedanken – sondern letztlich geht es auch darum, etwas gegen medizinische (beziehungsweise medikamentöse) Überversorgung zu tun.