Da kommt wohl ein neues Thema auf. Wenn es bislang um den Ärztemangel in der Schweiz ging, dann drehte sich die Debatte fast immer darum, dass zuwenig neue Mediziner ausgebildet werden – oder darum, dass mit den Babyboomern bald eine grosse Anzahl Ärzte bereit ist für die Pensionierung.
Doch ein Teil des Problems liegt auch darin, dass eine erhebliche Anzahl an Medizinern aus dem Beruf aussteigt. Nun hat auch die «NZZ am Sonntag» das Thema aufgegriffen. Sie meldet, dass etwa jeder fünfte Absolvent einer Medizinfakultät irgendwann seinen Beruf aufgibt – vorübergehend oder definitiv. Dies beispielsweise die Schätzungen von Ärztevertretern wie Peter Meier-Abt, dem Präsidenten der SAMW.
Facharzt? Wozu ein Facharzt-Titel?
Konkrete Zahlen gibt es zwar nicht, aber jetzt soll Klarheit geschaffen werden: Im Auftrag der FMH und des Verbands der Assistenz- und Oberärzte arbeitet die Universität Bern an einer Studie, welche die Zahl der Aussteiger eruieren soll.
Und jedenfalls gibt es genügend Indizien, die aufhorchen lassen. Zum Beispiel: Das Bundesamt für Statistik befragte den Abschlussjahrgang der Mediziner von 2008 ein Jahr nach dem Abschluss — und dann nochmal im Jahr 2013. Ein Resultat: Nach fünf Jahren waren sieben Prozent der Befragten nicht mehr im Gesundheitswesen tätig.
Einen Hinweis auf die Ausstiegsquote liefert auch das Bundesamt für Gesundheit BAG – es eruierte, dass 16 Prozent der Mediziner noch zehn Jahre nach dem Staatsexamen keinen Facharzt-Titel haben. Das heisst bekanntlich, dass sie de facto kaum als Ärzte tätig sein können (und vermutlich in ganz anderen Bereichen tätig sind). Bei den Frauen liegt die Quote bei 20 Prozent, bei den männlichen Medizinern bei 12 Prozent.
Mit anderen Worten: Der höhere Frauenanteil bei den Medizinstudenten birgt womöglich auch eine höhere Aussteigerquote in sich.
Diverse Erklärungen dafür sind bekannt – zum Beispiel lassen sich Arztberuf und Teilzeit-Arbeit in gewissen Phasen nur schwer unter einen Hut bringen.
Erst das Staatsexamen, dann zum Codieren
Interessant ist nun der Hinweis auf einen anderen Ausstiegs-Anlass: Das Codier-System im SwissDRG-System. Denn in den Codierbüros arbeiten relativ häufig Ärzte. Wie die «NZZ am Sonntag» herausfand, arbeiten zum Beispiel im Universitätsspital Zürich fünf Mediziner ausschliesslich an der Rechnungs-Codierung.
Eine dritte Erklärung brachte Beat Sottas soeben auf: In einem Aufsatz für das Comparis-Magazin
«Konsumentenstimme» rechnete der Bildungsexperte und ehemalige BAG-Mann vor, dass die Schweiz keineswegs zuwenig Ärzte ausbildet (wie viele meinen, darunter offenbar auch der Bundesrat). In den letzten Jahren und Jahrzehnten hätten eigentlich genügend diplomierte Mediziner die Schweizer Universitäten verlassen – oder zumindest annähernd genug, so Sottas' Berechnungen.
Wir bilden gute Medizinforscher aus
Das Problem, so auch Sottas, liege eher darin, dass unsere Universitäten die falschen Leute ausbilden. Der Numerus-Clausus-Test prüfe Konzentration, logisches Denken und Erinnerungsvermögen; doch er interessiere sich überhaupt nicht für Sozialkompetenz, Kommunikation, Empathie, Beratungseignung und Frustrationstoleranz. Dabei wären dies die Eigenschaften, die bei Ärzten besonders gefragt sind.
«Kaum überraschend also, dass es trotz intensiver Sensibilisierung und Förderung nicht gelungen ist, mehr Hausärzte zu gewinnen», lautet ein Fazit von Sottas: «Wenn jeder Zehnte Diplomierte Hausarzt wird, hat das auch damit zu tun, dass der NC die falschen auswählt: Es wird ein Typ Mensch zum Arzt ausgebildet, der nicht die für die Grundversorgung notwendigen Eigenschaften besitzt.»
Man darf gespannt sein, wie die Debatte weitergeht. Im Pflegebereich ist die Berufsloyalität ja bereits ein Dauerthema – und die Frage, wie man ausgestiegene Pflegefachleute wieder zurückgewinnen kann, gilt als sehr entscheidend bei der Behebung des drohenden Pflegenotstands.
Gut möglich also, dass wir dieselben Fragen nun auch mit Bezug auf die Ärzteschaft vermehrt wälzen werden.