Die Psychologen haben einen Fachbegriff namens
Kontrollillusion, englisch: illusion of control. Er bezeichnet die Tendenz zu glauben, dass man gewisse Vorgänge kontrollieren kann, obwohl sie nachweislich nicht beeinflussbar sind. So schätzt der durchschnittliche Mensch seine Gewinnchancen beim Lotto höher ein, wenn er die Zahlen selbst ausgewählt hat, als wenn man ihm die Zahlen einfach zuweist.
Es könnte sein, dass uns diese Illusion teuer zu stehen kommt – dies jedenfalls eine bemerkenswerte Anregung, die im neuen «New England Journal of Medicine» publiziert wurde. David
Casarett vertritt dort die These, dass zu viele Therapien verschrieben und begonnen werden, weil Ärzte wie Patienten letztlich zu optimistisch sind – und folglich glauben, durch ihre eigenen Handlungen etwas bewirken zu können; Casarett ist Medizinprofessor an der University of Pennsylvania und hat neben Ethik und Palliative Care auch die Effizienz von Gesundheitsorganisationen als Themenschwerpunkt.
Und so verweist er auf diverse Studien, bei denen die beobachteten Ärzte die Wirkung ihrer Massnahmen als höher einschätzten als diese in Wirklichkeit waren. Das Problem liege nun darin, dass sich diese menschliche Illusion in einem stetig neuen Einsatz von unpassenden Behandlungsmethoden oder Tests niederschlägt. Als konkretes Beispiel nennt Casarett die viel zu häufig beziehungsweise unnütz angewandten operativen Eingriffe bei Kniearthrose
(siehe dazu auch hier).
Verstärkt wird besagte Illusion noch dadurch, dass man nach einer Handlung normalerweise nach der Bestätigung für ihre Wirkung sucht – womit dieser Confirmation Bias noch den Eindruck verstärkt, dass beispielsweise eine gewisse Behandlung erfolgreich anschlägt.
«Such' nach Beweisen für Misserfolg»
Doch wie liesse sich dagegen tun? Ganz allgemein, so der Mediziner aus Pennsylvania, könnten einige Regeln helfen, genauere Wahrheiten zu erkennen. Eine solche Faustregel wäre: «Bevor du sicher bist, dass eine Therapie effektiv ist, such nach anderen Erklärungen.» Oder: «Such genauso nach Beweisen für Misserfolg wie nach Beweisen für Erfolg.»
Aber es braucht obendrein einen grundsätzlicheren Umgang mit der «therapeutischen Illusion» – und damit entsprechende Forschungsarbeiten: Dies letztlich die Kernaussge.
Denn am Ende seien all die «Choosing-Wisely»- und «Less is more»-Aktionen unnütz, wenn nicht zugleich die besagten Illusionen erforscht und kontrolliert werden können. Die Versuche, mit
«Schwarzen Listen» unnötige Behandlungen zu bekämpfen, würden zum Beispiel rasch an ihre Grenzen stossen – auch, weil sie ja in den einzelnen Fachgesellschaften der Spezialisten rasch mit dem Widerstand bestimmter Interessengruppen konfrontiert sind.
Kurz: Nachhaltig würde die Bewegung gegen die Rundum-Versorgung mit teils unnötigen Therapien erst, wenn das medizinische Personal bereits in der Ausbildung lernt, wie man die therapeutische Illusion erkennt und wie man damit umgeht.