«In 15 Jahren wird ein Drittel aller Arzneimittel auf der mRNA-Technik basieren.» Diese Zukunftsprognose stammt von Biontech-Gründer Uğur Şahin.
mRNA-Impfstoffe hätten grosses Potenzial, finden die einen, so könnten diese künftig auch gegen andere Viren und zur Therpaie von Krankheiten wie Krebs eingesetzt werden. Andere äussern vermehrt Bedenken gegen solche Impfstoffe, bei denen es sich um Gentherapie handle, und warnen vor hohen Risiken.
«mRNA-Impfungen sind ein Beispiel für Zell- und Gentherapie»
Stefan Oelrich, Mitglied des Vorstandes der Bayer AG und Leiter der Medikamentensparte des Chemie- und Pharmakonzerns, machte an der Gesundheitskonferenz
«World Health Summit», die im vergangenen Oktober in Berlin stattgefunden hat, eine Aussage, die aufhorchen liess:
«Die mRNA-Impfungen sind ein Beispiel für Zell- und Gentherapie. Hätten wir vor zwei Jahren eine öffentliche Umfrage gemacht und gefragt, wer bereit dazu ist, eine Gen- oder Zelltherapie in Anspruch zu nehmen und sich in den Körper injizieren zu lassen, dann hätten das wahrscheinlich 95 Prozent der Menschen abgelehnt. Diese Pandemie hat vielen Menschen die Augen für Innovationen in einer Weise geöffnet, die vorher nicht möglich war.»
Auch Peter Doshi, Professor für pharmazeutische Forschung im Gesundheitswesen an der University of Maryland sowie Redaktor beim «British Medical Journal» (BMJ), sorgte im vergangenen Oktober für Aufmerksamkeit: In einer
Expertenanhörung des US-Senats sagte er, dass die mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 keine Impfungen, sondern Medikamente seien (Medinside
berichtete).
Definition von «Impfstoff» wurde im Januar 2021 geändert
Doshi machte damals auch darauf aufmerksam, dass das Merriam-Webster Wörterbuch (vergleichbar mit dem Duden) die Definition von «Impfstoff» Anfang 2021 geändert hat. Er sagte unter anderem:
«mRNA-Produkte erfüllten nicht die Definitionskriterien für einen Impfstoff, welche 15 Jahre bei Merriam-Webster galten. Die Definition wurde jedoch so erweitert, dass mRNA-Produkte nun als Impfstoffe gelten.»
Tatsächlich sei die Definition dort im Januar 2021 – also zu Beginn der weltweiten Covid-19-Impfkampagne – entsprechend geändert worden, ist in einem
Artikel des deutschen Online-Magazins «Multipolar» zu lesen.
Hier der Eintrag vor der Änderung:
(Screenshot Merriam Webster)
Und hier der Eintrag nach der Änderung:
(Screenshot Merriam Webster)
Sonderfall mRNA-Impfstoffe: Gesetzeslage in Deutschland
Wie ist die Rechtslage in Deutschland? Wo ist definiert, was als Impfung gelten kann und was nicht? Diese Fragen stellte sich der «Multipolar»-Journalist bei seinem Artikel. Wie seine Recherchen zeigen, steht zwar in den Regelungen zu
genbasierten Impfstoffen in Deutschland, dass
«Arzneimittel, die mRNA enthalten, als Gentherapeutika zu klassifizieren» seien. Es stehe aber auch, dass es eine Ausnahme gebe, und zwar
«Arzneimittel mit mRNA, die Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten sind».
Diese Ausnahme lässt sich auf eine Gesetzesänderung im Jahr 2009 zurückführen, wie die Recherchen des investigativen Journalisten ergeben haben. Vor dieser Änderung habe es im deutschen Arzneimittelgesetz folgendermassen geheissen:
«Impfstoffe sind Arzneimittel (...), die Antigene enthalten und die dazu bestimmt sind, bei Mensch oder Tier zur Erzeugung von spezifischen Abwehr- und Schutzstoffen angewendet zu werden.»
Im März 2009 – kurz vor Ausbruch der Schweinegrippe – habe die Bundesregierung einen Gesetzentwurf
«zur Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften» vorgelegt, heisst es im «Multipolar»-Artikel. Dieser Gesetzesentwurf sei unter anderem notwendig gewesen, um das Arzneimittelgesetz an eine europäische Verordnung anzupassen, die den Umgang mit neuartigen Gentherapeutika regelte, steht im Artikel weiter.
Welche Ergänzungen wurden gemacht?
Seitdem der Gesetzesentwurf im Juli 2009 beschlossen wurde, lautet die entsprechende Stelle im Arzneimittelgesetz den Recherchen zufolge so:
«Impfstoffe sind Arzneimittel (...), die Antigene oder rekombinante Nukleinsäuren enthalten und die dazu bestimmt sind, bei Mensch oder Tier zur Erzeugung von spezifischen Abwehr- und Schutzstoffen angewendet zu werden und, soweit sie rekombinante Nukleinsäuren enthalten, ausschliesslich zur Vorbeugung oder Behandlung von Infektionskrankheiten bestimmt sind.»
Der Journalist kommt zum Schluss: «Ohne diese politisch bestimmte Definitionsänderung würden die mRNA-Präparate (…) rechtlich nicht als Impfungen sondern als Gentherapeutika gelten.»
Wie ist die Rechtslage in der Schweiz?
Medinside wollte nun wissen, wie sich das alles hierzulande verhält: Wie lauten die rechtlichen Bestimmungen für mRNA-Präparate in der Schweiz? Kam es ebenfalls zu einer solchen Gesetzesänderung?
«In der Schweiz gibt es keine vergleichbaren Gesetzesanpassungen», schreibt Swissmedic, die Schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte, auf Anfrage.
Die mRNA-Präparate würden der Definition für immunologische Arzneimittel entsprechen, schreibt Swissmedic weiter und verweist auf die aktuelle
Arzneimittel-Bewilligungsverordnung. Dort (Art. 2b) steht:
Als immunologische Arzneimittel gelten Arzneimittel, die verwendet werden, um eine aktive oder passive Immunität zu erzeugen oder einen Immunitätszustand zu diagnostizieren, insbesondere Impfstoffe, Toxine und Seren, sowie Arzneimittel, mit denen eine besondere erworbene Veränderung der Immunreaktion auf eine allergisierende Substanz festgestellt oder hervorgerufen werden soll, wie Allergene.
Es gebe rechtlich oder regulatorisch (d.h., wie der Begutachtungs- sowie Zulassungsprozess gesetzlich festgelegt ist) keine Gründe, die mRNA-Präparate nicht als Impfungen zu definieren, so Swissmedic. Die Heilmittelbehörde betrachtet die mRNA-Impfstoffe nicht als Gentherapien, räumt jedoch ein, dass die mRNA-Technolgie wissenschaftlich als solche zu behandeln sei.
BAFU: «Biologisch aktives genetisches Material»
Anders tönt es beim Bundesamt für Umwelt (BAFU).* Gemäss diesem sind mRNA als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zu definieren. Das Amt macht folgende Erläuterungen:
Die mRNA stellt genetisches Material dar, da sie physisch – wie DNA – aus Nukleinsäuren besteht und funktionell für die Proteinsynthese unabdingbar ist. Die Synthese eines spezifischen Proteins [Spikeprotein bei den mRNA-Impfungen gegen Covid-19] sowie die spezifische Immunantwort gegen ein bestimmtes Antigen dieses Proteins stellen biologische Aktivitäten dar.
Die «nackte» mRNA allein dürfte (…) im vorliegenden Fall [mRNA-Impfung] jedoch nicht fähig sein, diese biologische Aktivität hervorzurufen, da sie nicht zellgängig (genug) ist.
Die mRNA erlangt diese Fähigkeit vorliegend aber durch ihre Verpackung in eine Lipidhülle aus spezifischen Komponenten. Das daraus resultierende Nanopartikel verfügt über die notwendige Zellgängigkeit, um die beschriebenen biologischen Aktivitäten ausüben zu können.
Es handelt sich daher bei mRNA-Impfstoffen um biologisch aktives genetisches Material und deshalb sind diese rechtlich einem Organismus gleichgestellt.
Darlegungen von Swissmedic
Handelt es sich nun bei den mRNA-Präparaten faktisch um Gentherapie bzw. um ein gentechnisches Medikament?
Swissmedic hält fest: «mRNA-Impfstoffe werden reguliert analog einem GVO auf der gesetzlichen Basis.» Regulatorisch/juristisch sei die mRNA mit einem GVO gleichgestellt. Biologisch/wissenschaftlich hingegen sei die mRNA kein Lebewesen und daher kein GVO. Letzteres begründet Swissmedic so: «Eine mRNA ist ein einzelnes Molekül – ein einzelnes RNA-Molekül kann biologisch/wissenschaftlich kein Organismus sein.»
Fazit
Zusammenfassend kann gesagt werden: In der Schweiz gab es keine Gesetzesänderung wie in Deutschland. Swissmedic: «Das Heilmittelgesetz und die Verordnungen, welche Heilmittel regeln, entsprechen der aktuellen Entwicklungen und müssen aufgrund der mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 nicht angepasst werden.»
Gemäss Heilmittelgesetz und Arzneimittel-Bewilligungsverordnung handelt es sich beim mRNA-Impfstoff gegen Covid-19 um ein immunologisches Arzneimittel, da dieser eine aktive Immunität erzeugen soll.
Juristisch handelt es sich beim mRNA-Impfstoff gegen Covid-19 jedoch um einen GVO und demzufolge um ein gentechnisches Präparat.
* Medinside hatte das BAFU für diesen Artikel nicht angefragt – die Medienverantwortlichen von Swissmedic kontaktierten das Amt gleich selbst.