In acht Tagen könnte die FMH an ihrer Ärztekammer-Sitzung die Aufnahme von brisanzen Suizid-Richtlinien beschliessen. Die Schweizer Sterbehilfe-Organisationen sind empört: «In Hinterzimmer-Manier wurden mehrere Neuformulierungen beschlossen, welche von der FMH abgenickt werden sollen – ohne Einbezug der Schweizer Ärzteschaft durch eine sonst übliche Vernehmlassung und Mitsprachemöglichkeit», schreiben sie in einer Mitteilung.
Kein Gesetz, aber trotzdem verbindlich
Die geplanten Änderungen haben Vertreter der Ärzteorganisationen FMH gemeinsam mit der Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) ausgearbeitet. Die Richtlinien sind zwar kein Gesetz. Doch Ärztinnen und Ärzte müssen sich danach richten, wollen sie keine Sanktionen riskieren.
Die neuen Richtlinien könnten die bisher sehr liberale Praxis in der Schweiz tatsächlich einschränken. Das sind die fünf wichtigsten Punkte:
Zwei Wochen Verzögerung
- Der Arzt muss mindestens zwei ausführliche Gespräche im Abstand von mindestens zwei Wochen mit dem Patienten führen.
Eine solche Verzögerung sei für Patienten mit starken Schmerzen oder zunehmender Atemnot unzumutbar, kritisieren die Sterbehilfe-Organisationen.
Schwerwiegendes Leiden
- Die Krankheitssymptome oder Funktionseinschränkungen müssen schwerwiegend sein.
Das Kriterium «schwerwiegend» verunsichere die Ärzte, finden die Gegner. Nur der Patient und nicht der Arzt könne entscheiden, ob etwa Inkontinenz oder der Verlust des Augenlichts für einen Patienten schwerwiegend sei.
Angehörige und Betreuungsteam einbeziehen
- Es muss auf die Bedürfnisse der Angehörigen, des interprofessionellen Betreuungsteams und des Umfelds Rücksicht genommen werden.
Diese Forderung sei für einen Arzt praktisch nicht umsetzbar und würde die Suizidhilfe sehr oft verhindern, fürchten die Sterbehilfe-Organisationen.
Erwägung von Alternativen
- Therapeutische Optionen und andere Hilfsangebote müssen gesucht, mit dem Patienten abgeklärt und angeboten werden.
Diese Forderung, so die Gegner, sorge für Verwirrung. Müssten Alternativen konkret angeboten und auf Erfolg ausprobiert werden, würde das oft zu lange dauern.
Verbot von Altersfreitod und Bilanzsuizid
- Ethisch nicht vertretbar ist Suizidhilfe bei gesunden Personen.
Diese Vorgabe würde einen Altersfreitod oder einen Bilanzsuizid ausschliessen. Das möchten die Sterbehilfe-Organisationen verhindern.
Ist Verschärfung unnötig?
Die Sterbehilfeorganisationen finden, dass die strengen Richtlinien auch aus Ärztesicht unnötig seien: «Bereits heute besteht für Ärztinnen und Ärzte keinerlei Verpflichtung, bei der Suizidhilfe mitzuwirken», führen sie ins Feld.
Die neuen Regelungen würden aber jene Ärzte, die dies aus Überzeugung und in Übereinstimmung mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen tun, massiv einschränken, fürchten sie. «Wer wagt es angesichts dieser Vorgaben noch, Rezepte für das Sterbemedikament auszustellen?», fragen sich die Organisationen.
Bisherige Richtlininen nicht in Standesordnung
Dass die FMH und die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften die Suizidhilfe jetzt zum Thema macht, hat einen Grund: Schon 2018 hat die Akademie Richtlinien erarbeitet. Sie wurden aber damals von der Ärzteorganisation FMH nicht genehmigt und somit auch nicht ins ärztliche Standesrecht überführt.
Offenbar sind nun aber auch zu den neuen Richtlinien die Meinungen innerhalb der FMH und der Akademie geteilt. Jedenfalls schreiben die Sterbehilfe-Organisationen in ihrer Mitteilung, dass ihnen der Änderungsentwurf von Personen zugespielt worden sei, die sich «vehement dagegen wehren.»
Würden die Ärzte verunsichert?
Diese Personen möchten verhindern, dass Ärztinnen und Ärzte, welche die Richtlinien konsultieren, bei der Suizidhilfe verunsichert und abgeschreckt würden. Sonst werde die ärztliche Unterstützung bei der Suizidhilfe erschwert oder gar verunmöglicht.
Genau das dürfte allerdings das Ziel der neuen Richtlinien sein. Ob dieses Ziel eine Mehrheit der FMH-Verantwortlichen anstrebt, wird sich an der Ärztekammer-Sitzung zeigen.