Hinter den Empfehlungen ist die Erkenntnis, dass es ineinander verzahnte Massnahmen braucht, um den immer wieder aufscheinenden Ärztemangel in der Schweiz anzugehen. Isolierte Eingriffe erzeugen kaum je die gewünschten Wirkungen, «sondern vor allem unerwünschte Nebenwirkungen», so die einleitenden Bemerkungen des neuen Positionspapiers.
Darin schlägt die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften eine Reihe von Massnahmen zur Steuerung der Anzahl und der Verteilung von Ärzten vor: Konzipieren eines kohärenten Anreizsystems, Schaffen einer Datengrundlage, Aufbau eines wirksamen, überkantonalen Steuerungssystems, Differenzierung der ärztlichen Aus- und Weiterbildung und Unterstützung neuer Versorgungsmodelle – dies die Schwerpunktbereiche darin.
Erarbeitet wurde das Papier von einem zehnköpfigen Team, geleitet von Urs Brügger von der ZHAW Winterthur.
Hohe Priorität: Ein kohärentes Anreizsystem
Vor allem die Tarifsysteme führen laut den SAMW-Analytikern zur Fehlverteilung ärztlicher Ressourcen. Konkret wünschen die Autoren eine Revision des Tarmed, und dabei insbesondere eine Reduktion bestimmter spezialärztlicher Tarife bei Aufwertung der Grundversorger-Leistungen (Allgemeinmedizin, Psychiatrie, Pädiatrie).
Genannt werden auch Return-of-service-Programme für ländliche Gegenden und Performance-abhängige Vergütungsmodelle.
Hohe bis mittlere Priorität: Datengrundlagen
Die Personalentwicklung sollte kontinuierlich im Sinne eines lernenden Systems beobachtet werden, insbesondere auch für kurze Zeiträume. Die SAMW schlägt vor, dass die Erarbeitung eines Berechnungsmodells zum ärztlichen Bedarf vorangetrieben wird.
Zugleich sprechen sich die Autoren für eine Verfeinerung aus: Die von der Obsan jetzt schon veröffentlichten Berichte zur Personalsituation in einzelnen Berufen oder Berufsgruppen sollen stärker mit einem patientenzentrierten und teambasierten Ansatz aufbereitet fragen – also entlang der Frage, wer für und mit Patienten Aufgaben übernimmt.
Oder anders: Es geht dann weniger um die Entwicklung aus Sicht der Berufe, sondern um die Entwicklung aus Sicht der Nutzer.
Hohe bis mittlere Priorität: Aufbau eines überkantonalen Steuerungssystems
Das heisst etwa: Bund und Kantone gründen ein Steuerungsgremium. Dieses soll ein Steuerungssystem entwerfen, die Datenverarbeitung sicherstellen und den für den Ärztenachwuchs verantwortlichen Stellen Empfehlungen abgeben. Falls notwendig, entwirft das Gremium auch gesetzgeberische Vorschläge und fördert die Entwicklung von Steuerungsregionen.
Zudem: Die hierbei angestrebten überkantonalen Versorgungsregionen sollen auch für eine bessere Abstimmung zwischen den Spitälern sorgen.
Hohe bis mittlere Prioriät: Differenzierung der Ärzteausbildung
Insbesondere die Masterstufe des Medizinstudiums sei für künftige Mediziner entscheidend: Rund die Hälfte der Ärzte fällt ihre (fachlichen) Karriereentscheide in dieser Phase des Studiums. «In diesem Zeitfenster entstehen wesentliche professionelle Prägungen, die sich stark auf die spätere Berufsausübung auswirken», so das Papier.
Der 100-Millionen-Ausbau neuer Medizinstudienplätze werde nur gelingen, wenn die Ausbildung stärker differenziert wird und der Interdisziplinarität schon im Studium mehr Gewicht beigemessen wird.
Der Arbeitsgruppe, die das Positionspapier erarbeitete, gehörten an: Urs Brügger, Winterthur (Leitung); Hermann Amstad, Bern; Peter Berchtold, Bern; Iren Bischofberger, Zürich; Peter Meier-Abt, Zürich; Arnaud Perrier, Genf; Martin Schwab, Zürich; Peter Suter, Presinge; Martin Täuber, Bern; Thomas Zeltner, Bern.
Zudem: Die rein zahlenmässige Erhöhung von Ausbildungsplätzen sei zur Lösung von versorgungspolitischen Engpässen nicht ausreichend. Es braucht auch ein Engagement in der Weiterbildung – und ferner Massnahmen, um die «leaky pipeline» abzudichten und weniger Aussteiger zu provozieren.
Was heisst das konkret? Das SAMW-Papier spricht sich für spezifische Ausbildungstracks aus (zum Beispiel einen für angehende Forscher – oder andererseits einen für Grundversorger in ländlichen Gegenden). Ferner genannt werden Weiterbildungs-Curricula für Assistenzärzte oder eine ausreichende Zahl von Krippenplätzen bei den Spitälern.
Hohe bis mittlere Priorität: Neue Versorgungsmodelle
Hier geht es darum, die Zusammenarbeit der medizinischen Berufsgruppen zu verbessern – zumal damit nebenbei auch die Attraktivität der Berufe gesteigert werden könnte. «In neuen Versorgungsmodellen müssen Arbeitsbedingungen herrschen, die zeitgemäss und attraktiv für die darin tätigen und für angehende Gesundheitsfachpersonen sind», so das Autorenteam.
Doch wie umsetzen? Innovative Versorgungsmodelle sollen in ihrer Startphase durch die Kantone finanziell unterstützt werden. Eine weiterer Schritt, der für die Entstehung neuer Versorgungsmodell entscheiden sei: Ärzteschaft und Spitäler sollten E-Health möglichst rasch umsetzen.