Schönheitschirurgen haben mehr zu tun wegen Corona

Gesichtskorrekturen erleben einen Aufschwung – was ist dran am Boom? Drei Schönheitschirurgen geben Auskunft und fassen auch ein heisses Eisen an: den deregulierten Markt für ästhetische Eingriffe.

, 19. Februar 2021 um 05:42
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Gemäss zahlreicher Deutschen und einiger Schweizer Medien steigert Corona die Nachfrage nach Schönheitsoperationen. Medinside fragte bei Thomas Fischer nach: Der Facharzt für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie (PRÄC) ist Präsident von Swiss Plastic Surgery und führt seit 2009 eine eigene Klinik – die Centerclinic – in Bern. Fischer spricht von einer «deutlichen Zunahme» ästhetischer Operationen in seiner Klinik: Vor der Pandemie hätten ästhetische Operationen rund zwei Drittel und rekonstruktive Operationen rund einen Drittel ausgemacht. Mittlerweile beliefen sich die ästhetischen Eingriffe auf rund vier Fünftel – das entspricht einem Anstieg von 20 Prozent.
Auch Farid Rezaeian, der als Facharzt PRÄC in der Clinic Utoquai in Zürich arbeitet, von der er zudem Teilhaber ist, nimmt das gesteigerte Interesse wahr: «Wir werden schon seit jeher gut gebucht, aktuell sind wir aber tatsächlich häufig ausgebucht.» Laut Rezaeian zählt die Klinik im Schnitt rund 75 Patientinnen und Patienten pro Tag – das sind jeweils 25 pro Arzt. Interessant sei, so der Spezialist für Nasenoperationen, wie sich die Wünsche der Kunden geändert hätten. So seien Ende April nach dem Lockdown vor allem nicht-chirurgische Eingriffe (z.B. Filler- und Botox-Behandlungen) gefragt gewesen, wohingegen operative Verschönerungen oft auf später verschoben worden seien. Seit dem zweiten Lockdown verhalte es sich gerade umgekehrt. Rezaeian verweist auf die USA, wo das gleiche Phänomen zu beobachten sei. Personen entscheiden sich wieder mehr für operative Verschönerungen, da sie durch das Tragen der Maske, den Eingriff besser verbergen können.
In der Schweiz werden täglich rund 346 Schönheitsoperationen durchgeführt. Jährlich sind das rund 90 000. 85 Prozent der Kundschaft sind Frauen. Die Zahlen orientieren sich an jenen aus Deutschland (Statistik 2019) und beruhen auf Schätzungen, sind aber laut Swiss Plastic Surgery, der Schweizerischen Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, als Referenz verwendbar.

Den Augen wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt

Christophe Christ, der 1997 an der Gründung der Clinic Utoquai beteiligt war und heute als Facharzt PRÄC die Clinic Bellerive in Zürich betreibt, stellt ebenfalls fest, dass die Nachfrage nach operativen Verschönerungen – insbesondere der Augenpartie – gestiegen ist: «Kundinnen und Kunden haben vermehrt den Wunsch, sich die Schlupflider oder Tränensäcke zu entfernen.» Fischer von der Centerclinic in Bern beobachtet diesen Trend ebenso bei seiner Klientel. Die Erklärung dafür ist so überraschend wie naheliegend: Da die Maske die Augenpartie ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, möchten mehr Schweizerinnen und Schweizer die dortigen Makel oder Störfaktoren beheben lassen.
Die Heimbüropflicht kommt vielen Kundinnen und Kunden gelegen. Denn wer einen plastischen oder ästhetischen Eingriff machen lässt, der medizinisch nicht begründet ist, fällt somit bei der Arbeit nicht mehr aus und muss für die Erholungszeit nicht extra Urlaub nehmen. Dieser Beweggrund werde von den Klientinnen und Klienten am häufigsten genannt, sind sich die drei Schönheitschirurgen einig und sie bestätigen auch: Nicht unbedeutend für das erhöhte Interesse an Schönheits-Ops sind zudem Videokonferenzen, in denen man mit dem eigenen Spiegelbild konfrontiert wird – plötzlich fallen einem Makel auf, die man beseitig haben möchte.

Verschönerungen statt Reisen

Auch der Umstand, dass weniger gereist wird, kann Schönheitschirurgen zusätzlich in die Hände spielen. Fischer erzählt etwa von einem Paar, das eine bereits gebuchte Reise nicht unternehmen konnte – «stattdessen entschieden sich beide für eine mittelgrosse ästhetische Operation, die sie schon lange mal machen wollten». Wegen der Pandemie sei auch der chirurgische Tourismus eingeschränkt, sagt der Präsident von Swiss Plastic Surgery. Daher gäbe es weniger hiesige Frauen, die extra in den Osten reisten, um sich dort wegen der günstigen Preise operieren zu lassen. Christ indes macht auch auf die Schattenseite der Reiseeinschränkungen aufmerksam: «Kundinnen und Kunden aus dem Ausland, die etwa 20 Prozent ausmachen, fallen weg.»
Rezaeian nennt einen weiteren Grund: Infolge der Corona-bedingten Einschränkungen trete vermehrt der Wunsch auf, sich selbst etwas Schönes zu gönnen, sagt er und fügt an: «um Licht am Ende des Tunnels zu sehen.» 

Schönheitsklinik oder Kosmetikstudio?

Der Markt für ästhetische Medizin wächst und mit ihm auch die Zahl unprofessioneller Anbieter. Nicht immer ist der Schönheitschirurg die erste Wahl: Sowohl ältere als auch junge Personen gehen aus kostentechnischen Gründen vermehrt zur Kosmetikerin, um ihr Gesicht – etwa mit Botulinumtoxin oder Hyaluronsäure – aufzufrischen. Indem Kosmetikerinnen und Kosmetiker solche Injektionen durchführen, verstossen sie jedoch gegen die Anordnung von Swissmedic. Das Schweizer Heilmittelinstitut untersagt nicht medizinisch ausgebildeten Personen Substanzen zu spritzen, die länger als 30 Tage im Körper bleiben.
«Solche Personen ohne medizinische Ausbildung werden von der Gesundheitsbehörde nicht kontrolliert – das ist ein grosses Problem», sagt Thomas Fischer. Swiss Plastic Surgery, die Schweizerische Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, setze hingegen hohe Qualitätsstandards. Wer aufgenommen werden möchte, muss mindestens eine 6-jährige, häufig sogar eine 10- bis 12-jährige Weiterbildung durchlaufen haben. Weiter muss für den Facharzttitel unter anderem eine vorgegebene Anzahl ästhetischer Operationen durchgeführt sowie eine europäische und schweizerische Facharztprüfung absolviert werden. 
Jeder Eingriff in den Körper setze ein fundiertes medizinisches Fachwissen voraus und sei mit Risiken verbunden, die bei der Planung miteinberechnet werden müssten, betont Fischer. Bei einer Fillerbehandlung (Faltenbehandlung) mit Hyaluronsäure etwa könne es, bei unsachgemässer Anwendung, in extrem seltenen Fällen gar zur Erblindung kommen, erklärt der Chirurg und verweist auf Südkorea – «eine Hochburg für ästhetische Behandlungen» –, das mehrere solche Erblindungen pro Jahr rapportiert.

Schon gewusst?

Die Anfänge der Schönheitsoperationen reichen weit zurück bis 600 v. Chr. In Indien war es damals üblich, dass Delinquenten die Nase abgeschnitten wurde. Daher kam es vermehrt zur Nachfrage einer Nasenrekonstruktion, die aus Hautlappen von der Stirn geformt wurde.
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