Seit März 2015 wurden zum Teil schwerwiegende Vorwürfe gegen den ehemaligen Leiter der Schmerzklinik sowie gegen Geschäftsleitung und Stiftungsrat des See-Spitals erhoben.
Der Stiftungsrat nahm in der Folge eine Abklärung dieser Vorwürfe vor – Vorwürfe übrigens, die ihm nie direkt unterbreitet worden seien –, und er erarbeitete einen Bericht. Die wichtigsten Ergebnisse finden sich nun in einem Kurzbericht; er liegt Medinside vor.
Und damit lässt sich recht präzise nachzeichnen, was schief lief.
Die Analyse: Heikle Punkte in den Abläufen
1. Die Frage der Überwachung
Im Zentrum steht der Leiter der Schmerzklinik – im Bericht «RDA» genannt. Er war der Chefärztin Innere Medizin unterstellt. Faktisch arbeitete RDA im ambulanten Bereich mit Billigung des damaligen Spitaldirektors, aber autonom wie ein Belegarzt. Damit beschränkte sich die Überwachung durch die Chefärztin Innere Medizin auf den stationären Bereich.
«Rückblickend betrachtet war dies ein Fehler», so eine Einschätzung des Stiftungsrates.
Im ambulanten Bereich verrechnete RDA über die Patientenadministration. Wie bei den Belegärzten nahm das Spital keine medizinische Kontrolle der Leistungserfassung vor. Bis zur ersten Berichterstattung durch die
«Weltwoche» im Frühjahr 2015 seien aber auch keine Beanstandungen eingegangen. Das See-Spital hatte daher keine Veranlassung zu eigenen Kontrollen.
2. Lückenhafte Patientendokumentation
Sehr mangelhaft sei auch die Patientendokumentation durch RDA gewesen: «Es fehlen insbesondere die Aufklärungsprotokolle.» Laut Aussagen des Schmerzarztes machte er die Aufklärung mündlich, unter Beisein des Anästhesiepflegers.
«Leider sind auch diese Gespräche selten dokumentiert», kommentiert der Stiftungsrat.
Andererseits seien Schreiben an Hausärzte sowie Versicherungsberichte in guter Qualität vorhanden. Gerade deshalb sei die fehlende Dokumentation nicht aufgefallen. Ferner seien die Eingriffe im Planungstool vermerkt (allerdings bei den repetitiven Lokalanästhetika nur «Ozon lokal»).
Es sei auszuschliessen, dass RDA eine Behandlung abgerechnet hat (Infiltration mit Lokalanästhetika), um die Ozontherapie «abrechnungsfähig» zu machen.
3. Falsche Abrechnungen
Der Bericht stellt auch fest, dass in der Schmerzklinik nach Umstellung vom Originalpräparat Naropin auf das Generikum Ropivacain im August 2013 weiterhin das Originalpräparat verrechnet wurde. Dies entspricht einer Preisdifferenz von 6 Franken pro Ampulle.
Ein Patient des
See-Spitals monierte in den Medien auch, dass RDA Interventionen an der Halswirbelsäule ohne Bildverstärker durchgeführt habe. Dies geschah – so jetzt der Bericht – im Rahmen der cervikalen Spinalnervenanalgesie (CSPA) mit Lokalanästhetika und additivem Ozon. Eine Infiltration ohne Bildverstärker sei aber gemäss Literatur bei korrekt durchgeführter Methode vertretbar. Niemals sei eine Komplikation bei diesen durch RDA durchgeführten Interventionen aufgetreten ist.
Auf der anderen Seite ergab die Untersuchung nun, dass RDA jede Therapie mit Bildverstärker abgerechnet hat – obwohl der Bildverstärker nicht bei jeder repetitiven Lokalanästhetica-Behandlung zum Einsatz kam.
In 4 Punkten: Die Konsequenzen – was geschieht?
1. Neue Aufsicht
Die Schmerzklinik steht seit März 2015 auch im ambulanten Bereich unter der Aufsicht der Chefärztin Innere Medizin. Zudem wird der neue leitende Arzt der Schmerzklinik wie alle anderen Klinikärzte in die bestehende Organisation des See-Spitals eingegliedert.
2. Überwachung der Leistungserfassung
Der Stiftungsrat beschloss, die Leistungserfassung im ambulanten Bereich sowie die Patientendokumentation im gesamten Spital stärker zu überwachen. Die Geschäftsleitung wurde beauftragt, diese beiden Punkte zu überwachen und dem Stiftungsrat halbjährlich einen Bericht vorzulegen.
3. Mehr Verantwortung für Chefärzte
Ferner sind die Chefärzte künftig bei der Leistungserfassung im ambulanten Bereich und bei der Patientendokumentation auch im ambulanten Bereich für korrekte Vorgänge verantwortlich.
Die Geschäftsleitung hat dem Stiftungsrat auch einen Bericht zur Einhaltung der Verträge mit den Chefärzten und den leitenden Ärzten abzugeben.
4. Verbesserung des Verhältnisses zu Belegärzten
Schliesslich hat der Stiftungsrat entschieden, geeignete Massnahmen zu erarbeiten, um das Verhältnis zu einzelnen Belegärzten in Kilchberg zu verbessern.
Der Fall RDA habe gezeigt, dass die Qualitätssicherung am See-Spital untersucht und hinterfragt werden muss. Ein entsprechender Auftrag an die Geschäftsleitung wurde erteilt.
RDA war im übrigen bereits im Juni gekündigt worden, das Arbeitsverhältnis endete vor wenigen Tagen.
Der Rückblick: Was wusste man wann?
Grundsätzlich wehrt sich die Spitalleitung aber gegen Behauptungen, wonach die Belegärzte bereits seit 2004 beinahe ununterbrochen auf die Missstände rund um RDA hingewiesen hätten. Dies könne nur schon zeitlich nicht zutreffen, da RDA erst ab Dezember 2005 beim damaligen Spital Zimmerberg in Horgen angestellt wurde.
Dokumentiert seien lediglich zwei Hinweise, die 2011 im Ärztekollegium Kilchberg geäussert wurden. Kein Mitglied des Ärztekollegiums habe von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Angelegenheit im Ärztekollegium oder in der Geschäftsleitung weiter zu traktandieren.
Keine Beanstandungen von Versicherern
Falsch seien schliesslich die Behauptungen, wonach Stiftungsratspräsident Walter Bosshard schon seit langer Zeit von den heute zutage getretenen Missständen wusste.
Im Jahr 2014 gingen Walter Bosshard und Stiftungsrat Lorenzo Marazzotta persönlich einigen HInweisen nach. Sie fanden keine Beanstandungen von den Krankenversicherern oder von Patienten, auch stimmte der Medikamentenbezug der Schmerzklinik mit der Tätigkeit überein.
Nicht untersucht wurden die Patientendokumentation und die Leistungserfassung. «Rein retrospektiv betrachtet, wäre es sinnvoll gewesen, auch diese Punkte zu kontrollieren», urteilt der Bericht.
Mehr: «See-Spital Horgen: Der Präsident tritt zurück»
Bild: PD