Weshalb Ärztinnen vielleicht besser sind als Ärzte

Weniger Todesfälle, weniger Rückfälle: Laut einer grossen US-Studie haben Spitalpatienten bessere Chancen, wenn sie von Frauen statt Männern behandelt werden. Zwei Fragen drängen sich auf: Was sind die Gründe? Und was die Folgen?

, 22. Dezember 2016 um 07:11
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Chirurgin bei der Arbeit (Bild: aus der Twitter-#-Aktion #ilooklikeasurgeon)
Ha! In den letzten zwei Tagen dürften sich viele Medizinerinnen das Schmunzeln kaum verkniffen haben. Da verkündete eine grosse Studie, dass die Ärztinnen in entscheidenden Punkten offenbar besser arbeiten als ihre männlichen Kollegen. Und zwar wurde die Erhebung von den Renommier-Institutionen Harvard Medical School sowie Massachusetts General Hospital durchgeführt. 
Aus insgesamt 1,5 Millionen Spitaleintritten lasen die Forscher heraus, dass die Patienten eine tiefere Mortalität aufwiesen, wenn sie von einer Medizinerin statt eines Mediziners betreut worden war. Zudem erlitten sie auch weniger Rückfälle, gemessen an den Wiedereintritten innert 30 Tagen.


Die Unterschiede waren signifikant, andere mögliche Faktoren wurden weitgehend herausgerechnet, und zugleich rechneten die Autoren um Yusuke Tsugawa hoch, dass – rein statistisch – pro Jahr etwa 32'000 Menschenleben gerettet würden, wenn die Ärzteschaft ausschliesslich aus Frauen bestünde. Eine wahrlich provokative Aussage.
«Das Geschlecht des Arztes scheint für die kränksten Patienten von besonderer Signifikanz zu sein», folgerte Studienleiter Yusuke Tsugawa, ein Harvard-Professor für Public Health. 

Wer fragt eher mal bei den Kollegen nach?

Anderereits wagten sich die Autoren nur begrenzt auf die Äste hinaus: Man sei, so ihr Statement, «nicht in der Lage, exakt zu benennen, weshalb weibliche Ärzte bessere Resultate erzielen als männliche Ärzte.» Männer, so eine Vermutung, gehen womöglich weniger geflissentlich vor, wenn sie komplexe Probleme lösen müssen: Vielleicht hielten sich die Frauen stärker an die Vorschriften. Oder aber sie seien eher bereit, offene Fragen mit Kollegen zu diskutieren als Männer.
In der Branche selber war die These aus Harvard ja nicht ganz überraschend. Es gibt ja seit längerem Erklärungen für die Unterschiede, die nun dingfest gemacht wurden.

 

«Wahrscheinlich multi-faktoriell»

Aber damit sind wir schon im Bereich der Vermutung. Eine bemerkenswerte Überlegung brachte übrigens jener Medinside-Leser ins Spiel, der gestern zum Beitrag über die Harvard-Studie die Frage stellte: «Wurde untersucht, ob der Anteil von Teilzeitarbeitenden unter den Frauen signifikant höher war?» Dass die Be- und Überlastung des medizinischen Personals ein Sicherheits- und Qualitätsfaktor ist, gehört ja zu den Binsenwahrheiten der Branche.
Klar allerdings auch, dass andere Faktoren in die neuen Resultate hineinspielen. In der «Washington Post» meinte beispielsweise Vineet Arora, ein Medizinprofessor der University of Chicago, trotz aller Anerkennung der Harvard-Studie, dass hier auch die Reaktion der Patienten auf die Ärztin oder den Arzt hineingespielt haben könnte. «Es könnte etwas sein, was der Doktor tut. Es könnte aber auch sein, wie der Patient auf den Doktor reagiert», so Arora. «Es ist wirklich schwer zu sagen. Es ist wahrscheinlich multi-faktoriell.»

Was würden wir tun, wenn wir so eine neue Therapie hätten?

Interessant wird es nun sein, die Folgen zu beobachten – falls es sie denn gibt (und falls sich die Aussagen bestätigen sollten). Im Editorial, das «JAMA Internal Medicine» zur Studie veröffentlichte, schlugen die Autoren eine Brücke zum Lohngraben: Mit der Andeutung, dass die Qualität der ärztlichen Arbeit bei Frauen höher sein könnte, lasse es sich noch viel weniger halten, dass Spitalärzte für dieselbe Arbeit teils noch deutlich weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen.
Doch bereits deuten sich grundsätzlichere Fragen an: Letztlich schlummert ein nennenswertes Potential in den Unterschieden, die sich da auftun.
«Wenn wir eine Behandlung hätten, welche die Mortalität um 0,4 Prozentpunkte bis einen halben Prozentpunkt senkt, würde diese Behandlung weitherum eingesetzt», sagte Ashish Jha, Professor für Gesundheitspolitik in Harvard in einer Reaktion auf die gestern veröffentlichte Studie. «Wir würden dies als klinisch bedeutsame Therapie erachten, welche für unsere Patienten eingesetzt werden müsste.»
Mit anderen Worten: Jetzt stellt sich die Frage nach der klinischen Anwendung.
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