Schlappe für Krankenkassen vor Bundesgericht

Krankenversicherer forderten von einer Berner Gruppenpraxis rund eine Million Franken zurück. Das Bundesgericht findet: So geht das nicht.

, 15. Januar 2025 um 08:57
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Der Gotthardsaal des Bundesgerichts in Luzern. | PD
Eine Berner Gruppenpraxis mit vier Ärzten und Ärztinnen sowie vier Psychotherapeuten erhielt 2019 eine dicke Rechnung von den Krankenkassen: Bis zu 950'000 Franken sollte sie zurückzahlen.
Die 27 damaligen Santésuisse-Mitgliedskassen machten geltend, dass die Gruppenpraxis im Jahr 2017 unwirtschaftlich behandelt und deshalb zu hohe Kosten pro Patienten verrechnet habe.
Ein Schiedsgericht im Kanton Bern gab den Kassen recht: Die Praxis müsse 720'000 Franken zurückerstatten. Doch die Ärzte und Ärztinnen wehrten sich – und bekamen nun vom Bundesgericht zumindest teilweise Unterstützung. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung – also die Berechnung, wie hoch die Kosten pro Patienten sind – sei unvollständig gewesen. Deshalb muss das kantonale Schiedsgericht nochmals über die Bücher und dann neu entscheiden, ob die Praxis tatsächlich so viel an die Kassen zurückzahlen muss.

Zwei Punkte habe das Gericht zu wenig berücksichtigt:

Psychotherapie-Angebot in der Praxis: Dass die Gruppenpraxis auch Psychotherapie anbietet, sei an sich ein «typischer Bestandteil der ärztlichen Grundversorgung» und keine Praxisbesonderheit. Dieser Umstand könne aber trotzdem zu einem vergleichsweise grösseren Anteil teurer Patienten führen, was das Schiedsgericht hätte berücksichtigen sollen.
Erweiterte Praxisöffnungszeiten: Die Praxis war im betreffenden Jahr an 301 Tagen von morgens 7 Uhr bis abends 19 Uhr geöffnet. Solche erweiterten Öffnungszeiten seien zwar keine relevante Praxisbesonderheit, fand das Bundesgericht. Denn so habe die Praxis auch mehr Patienten behandelt und deswegen nicht höhere Durchschnittskosten pro Patienten. Die erweiterten Öffnungszeiten könnten aber zu Mehrkosten führen, wenn die höhere zeitliche Verfügbarkeit eine Ausweitung der medizinischen Versorgung bewirke, zum Beispiel bei Notfällen.
Für das Bundesgericht ist es vorstellbar, dass die Gruppenpraxis betriebliche Mehrkosten, die etwa wegen Lohnzuschlägen in Randzeiten entstehen, geltend machen könne. «Dies – mangels Anspruchs auf eine Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale – gleichsam kompensatorisch», wie das Gericht begründet.

Notfälle und Ferienvertretungen

Und weiter: «Die grössere zeitliche Verfügbarkeit kann dazu führen, dass bestehende Patienten Leistungen beanspruchen, die sie sonst anderswo bezogen hätten; man denke an die Notfallversorgung von Stammpatienten oder auch an interne statt externe Ferienstellvertretungen.»
Das Bundesgericht hält aber auch fest: «Rein organisationsbedingte Mehrkosten stellen hingegen keine erhebliche Praxisbesonderheit dar. So ist zwar möglich, dass einer Gruppenpraxis infolge erweiterter Öffnungszeiten und häufig wechselnder Betreuung von Patienten zusätzlicher Aufwand entsteht, um die Behandlungskontinuität sicherzustellen, dies zumal, wenn Teilzeit arbeitende Ärzte sich regelmässig gegenseitig vertreten. Das müsste indessen durch geeignete Praxisabläufe aufgefangen werden.»
Das Schiedsgericht muss nun nochmals genauer prüfen, ob der zurückgeforderte Betrag tatsächlich gerechtfertigt sei. Allenfalls müssen die Krankenkassen ihre Forderungen reduzieren.
  • Zum Thema: Wer rückfordern will, braucht Beweise. Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

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