Ärzte bei Pregabalin-Abgabe in der Zwickmühle

In Gefängnissen und Asylzentren gibt es immer mehr Missbrauch des Medikaments Pregabalin. Ärzte stehen vor einem Dilemma.

, 9. Januar 2025 um 05:57
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Pregabalin-Kapseln: Ein Medikament gegen Epilepsie und Angststörungen - aber auch häufig als Suchtmittel missbraucht. | PD
Jochen Mutschler, Chefarzt an der Luzerner Psychiatrie, erforscht seit Jahren den missbräuchlichen Konsum von Pregabalin. Das Medikament dient zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen, Angststörungen und Epilepsie.
Die Zahlen, die er mit einem Forschungsteam für eine kürzlich veröffentlichte Studie bei 131 Gefängnis- und Gerichtsmedizinern erhoben hat, sind bedenklich: Über 80 Prozent der befragten Ärzte beobachten in letzter Zeit einen Anstieg des Pregabalin-Konsums bei ihren Patienten. Sogar knapp 90 Prozent berichteten, dass ihre Patienten Pregabalin ohne klare medizinische Indikation forderten.

Bis zur siebenfachen Tagesdosis

Über 70 Prozent der befragten Ärzte gaben an, dass sie bereits Patienten mit Pregabalin-Dosen von mehr als 600 mg pro Tag – das ist die empfohlene Tageshöchstdosis – angetroffen haben. Die höchste gemeldete Dosis betrug 4’200 mg pro Tag.
Die Ärzte gaben an, dass es häufig Patienten aus Nordwestafrika sind, welche Pregabalin missbrauchen. In diesen Staaten ist Pregabalin ohne Rezept erhältlich. Viele von ihnen kommen bereits mit einer Pregabalin-Abhängigkeit in die Schweiz. Erhalten sie das Medikament nicht mehr, gibt es starke Entzugserscheinungen. Die Leute werden reizbar und aggressiv, entwickeln zum Teil auch kriminelle Aktivitäten, um ihre Sucht befriedigen zu können.
Zur Schadensminderung geben einige Asylzentren, etwa das Rückkehrzentrum Urdorf, das Medikament ab, wie Radio SRF berichtete. Nicht so die Bundesasylzentren. Das Staatsekretariat für Migration (SEM) hat beschlossen, das Mittel nicht mehr abgegeben. Nur die wenigsten bräuchten das Medikament wirklich.

Nur 45 Prozent verschreiben

Bei der Studie von Jochen Mutschler zeigte sich denn auch, dass nur 45 Prozent der befragten Ärzte Pregabalin verschreiben. Bei Patienten, die während der Einnahme von Pregabalin Verhaltensprobleme entwickelten, entschieden sich alle Befragten für eine Reduzierung, den Ersatz oder die Absetzung des Medikaments.
Jochen Mutschler findet, dass gesamtschweizerisch in allen Einrichtungen die gleiche Strategie bei der Abgabe von Pregabalin verfolgt werden sollte.
«Der Einsatz von Pregabalin in der Gerichts- und Gefängnismedizin im gesamten deutschsprachigen Raum stellt ein erhebliches Problem dar», heisst es in den Schlussfolgerungen zur Studie. «Die Verschreibung von Pregabalin in diesem Bereich kann die Probleme mit der Konsumstörung verstärken und die Herausforderungen im täglichen Leben der Insassen von forensischen Einrichtungen oder Gefängnissen verschlimmern.» Es sei notwendig, dass alle Ärzte, die Pregabalin verschreiben, klar über die Handhabung einschließlich der Risiken dieses Medikaments informiert sind.
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