Vor gut einem halben Jahr eröffnete die Modedesignerin Bitten Stetter zusammen mit ihren Team einen speziellen Laden: das Finally Care-Atelier in Zürich. Das Angebot: Bunte Spitalhemden, Baldachine fürs Spitalbett und andere Utensilien.
Viele Pflegefachpersonen sind Kundinnen und Kunden des Care-Ateliers. «Sie kennen die Produkte oft schon. Denn sie basieren oft auf ihren eigenen Ideen und Improvisationen, die ich während meiner intensiven Forschung gesammelt habe», sagt Bitten Stetter gegenüber Medinside.
Von Pflegefachpersonen mitgestaltet: Der Baldachin schafft Geborgenheit und Privatsphäre im Spitalbett. | zvg
Viele Produkte seien quasi die Übersetzungen dieser «Basteleien» oder sie wurden in gemeinsamen Designprozessen entwickelt. «Pflegefachpersonen geben uns Feedback zu bestehenden Produkten, teilen ihr Wissen und schlagen vor, was wir noch in Angriff nehmen könnten», hat Bitten Stetter festgestellt.
Und die Design-Professorin sagt: «Interessanterweise kaufen sie auch viele unsere Caps oder Sweatshirts mit Slogans wie ‹bin fragil› für den privaten Gebrauch.» Sie hat von Pflegefachleuten auch schon gehört: «Wir sollten diese Produkte bei der Arbeit tragen, damit unsere Patienten und Patientinnen verstehen, dass auch wir fragil sind.»
Pflegefachpersonen zeigen mit diesem Cap, dass sie auch sie verletzlich sind. | zvg
Auch Ärztinnen, Ärzte, Therapeuten und Therapeutinnen besuchen den Laden und kaufen Produkte für Kolleginnen oder Mitarbeiter. Zudem gibt es immer mehr Anfragen für gemeinsame Entwicklungen, etwa für ein Kommunikationmittel, um über Schmerzen sprechen zu können oder für ein Produkt für An- und Zugehörige von demenzerkrankten Menschen.
Bitten Stetter und ihr Team beliefern auch Spitäler: vor allem Palliativstationen, aber auch ambulante Pflegedienste und Hospize. Die Produkte sind jedoch auch für andere Abteilungen wie die Onkologie oder die Gerontologie geeignet.
«Besonders inspirierend war, dass eine Palliativstation selbst Stiftungsgelder beantragt hat, um bei uns einkaufen zu können. Solche Initiativen zeigen uns, wie wichtig unsere Arbeit ist», erzählt Stetter.
Sie will noch mehr institutionelle Kunden gewinnen – Spitäler, Pflegeheime, Hospize, Altersheime und Rehabilitationskliniken. So könne sie durch grössere Stückzahlen die Produkte preislich attraktiver machen. «Dennoch ist uns wichtig, fair und nachhaltig zu produzieren, auch wenn dies bei Pflegeprodukten oft noch kein zentraler Wert ist», fügt sie hinzu.
Nicht nur Produkte zum Sterben
Stetter betont zudem: «Unsere Produkte sind nicht nur für die End-of-Life-Care geeignet, sondern immer dann, wenn Menschen Pflege und ein Pflegebett benötigen, sei es für kurze oder längere Zeit.» Deshalb beginnen sich auch psychiatrische Einrichtungen für die Produkte zu interessieren.
Das Care-Atelier laufe gut, sagt Bitten Stetter. «Es ist schön zu sehen, dass Menschen auch von ausserhalb von Zürich extra zu uns kommen, um spezifische Care-Produkte für ihre nahen Angehörigen oder Zugehörigen zu suchen, sich zu informieren oder sich selbst etwas mitzunehmen, um vorbereitet zu sein.»
Das Finally Care-Atelier in Zürich. | zvg
Viele junge Menschen, die früh ihre Eltern, Freunde, Freundinnen oder Grosseltern verloren haben, betreten das Care-Atelier.
Und Menschen – oft auch Paare –, die sich vorbereiten wollen, oder solche, die eine nahestehende Person begleiten und ihr wertschätzende Produkte schenken möchten. Besonders berührend findet es Bitten Stetter, wenn Paare gemeinsam ein Produkt wie den Turnarounder – ein Spitalhemd, das gleichzeitig auch Kleid und Morgenmantel ist – aussuchen. Das schafft eine tiefe Verbindung, denn implizit wird gesagt: «I care for you» – «ich sorge mich um dich.»
Als Gesundheitsbegleiter
Einige Kunden und Kundinnen kaufen sich auch schon vorsorglich etwas mit der Begründung: «Das kann ich heute schon gut gebrauchen, und wenn es mir mal nicht gut geht, habe ich es schon.» Das freut Bitten Stetter, weil sie ihre Produkte als Gesundheits- und als Krankheitsbegleiter versteht.
Der Laden ist als Ergänzung zum digitalen Care-Shop gedacht. Er dient nicht nur als Verkaufsort, sondern auch als Ort der Vermittlung und als Raum für Gespräche.
Bitten Stettler schildert: «Vor zwei Wochen hatten wir eine Veranstaltung zum Thema ‹Trauer, Festhalten und Loslassen›. Fachpersonen trafen hier auf Betroffene, An- und Zugehörige und sprachen über fragile Zeiten, Alter, Trauer und Endlichkeit. Sie tauschen ihre Erfahrungen aus.» Solche Veranstaltungen will sie in Form von Care-Cafés vermehrt anbieten.
Bitten Stetter: Designerin und Forscherin
Die Gründerin des Finally Care-Ateliers, Bitten Stetter, ist Professorin für Trends & Identity an der der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Sie forscht zu Design, Lebensstilen und Wandel. Seit der persönlichen Begleitung ihrer Mutter steht die Zukunft des Todes im Zentrum ihrer Arbeit.
Woher Bitten Stetter die Motivation für ihren Laden nimmt? Es ist die Dankbarkeit der Kundinnen und Besucher, und es sind auch Sätze wie diese, die sie immer wieder hört: «Danke, das ist so wichtig, was ihr macht.» «Es nimmt mir die Angst.» «Es zeigt, was Pflegende täglich leisten.» Und: «Es tut gut zu sehen, dass es anders geht.»