Ja zum neuen Arzttarif – aber nur mit ambulanten Pauschalen

Ein neues ambulantes Tarifsystem muss Pauschalen mit dem Einzelleistungstarif Tardoc kombinieren. Nur so lässt sich die Effizienz im Gesundheitswesen steigern.

Kommentar von Anne-Geneviève Bütikofer und Verena Nold, 12. Juni 2024 um 22:00
image
«Wir haben ein kohärentes ambulantes Tarifsystem ausgearbeitet»: Autorinnen Verena Nold, Anne-Geneviève Bütikofer  |  Bilder: PD
Zum wiederholten Mal haben die Spitzen von FMH und Curafutura für eine Einführung des Tardoc ohne Kombination mit ambulanten Pauschalen plädiert.
Diese Forderung greift zu kurz: Nur eine gemeinsame Einführung von Tardoc und ambulanten Pauschalen kann Fehlanreize beseitigen und den Weg zu einem gerechten und zukunftsfähigen Tarifsystem bereiten.
Einigkeit besteht bei allen Tarifpartnern: Der aktuell gültige Tarmed ist hoffnungslos veraltet und bildet die Realität der heutigen Medizin nicht mehr ab. Die Folgen sind Fehlanreize und Tarife, die nicht sachgerecht sind. Es ist eine für alle Beteiligten unbefriedigende Situation.
  • Anne-Geneviève Bütikofer ist seit 2018 Direktorin des Verbands H+ Die Spitäler der Schweiz.
  • Verena Nold ist seit 2013 Direktorin von Santésuisse, dem Verband der Schweizer Krankenversicherer.
H+ und Santésuisse haben zur Lösung dieser Situation ein kohärentes ambulantes Tarifsystem ausgearbeitet und beim Bundesrat eingereicht. Dieses System sieht die Einführung von ambulanten Pauschalen vor – in Kombination mit dem Tardoc für nicht sofort pauschalierbare Leistungen.
In der nationalen Organisation Ambulante Arzttarife (OAAT) sind die Vorarbeiten für das neue kohärente Tarifsystem aus Pauschalen und Tardoc erfolgt. Der Bundesrat ist nun aufgefordert, dieses möglichst rasch als Gesamtkonzept zu genehmigen. Weitere Verzögerungen würden bedeuten, dass noch länger mit veralteten Strukturen abgerechnet wird – eine Situation, die weder aus Sicht der Prämienzahlenden noch der Leistungserbringer wünschbar ist.
«Die Forderung, zuerst den Tardoc einzuführen und die ambulanten Pauschalen weiter zu verzögern, ist Augenwischerei.»
Die Einführung von ambulanten Pauschalen bietet einen zentralen Vorteil: Bezahlt wird, was tatsächlich geleistet wird – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Grundlage dafür bilden die millionenfach erhobenen realen Kosten- und Leistungsdaten der Spitäler. So kann objektiv aufgezeigt werden, welche Aufwände hinter einer spezifischen Behandlung stehen. Belohnt werden also effizient arbeitende Leistungserbringer – unnötige Behandlungen werden hingegen eingedämmt.
Davon profitieren nicht nur die Patientinnen und Patienten – auch die Prämienzahlenden werden die gesteigerte Effizienz spüren, da so die Kostensteigerung im Gesundheitswesen gebremst werden kann.

Zusammen = zielführend

Nicht nur Santésuisse und die Spitäler und Kliniken fordern deshalb die Einführung des kohärenten Tarifsystems mit Pauschalen; auch Bundesrat und Parlament haben sich deutlich dafür ausgesprochen. Diese politischen Aussagen gilt es nun zu respektieren.
Die Forderung, zuerst den Tardoc einzuführen und die ambulanten Pauschalen weiter zu verzögern, ist Augenwischerei: Tardoc und Pauschalen ergeben gemeinsam ein sachgerechtes und zielführendes System. Die alleinige Einführung des Tardoc kann die bestehenden Fehlanreize nicht beheben. Zudem wäre es eine enorme Ressourcenverschwendung, das Tarifsystem innert weniger Jahre gleich zweimal fundamental abzuändern.
Ein etappiertes Vorgehen ist schlicht nicht zielführend. Dies hat auch der Bundesrat erkannt.
«Nicht zuletzt senken die ambulanten Pauschalen den administrativen Aufwand für das Gesundheitspersonal.»
Die Kritik von FMH und Curafutura an den ambulanten Pauschalen ist nicht nachvollziehbar. Anders als bei einem Einzelleistungstarif wie Tarmed oder Tardoc basieren die Pauschalen auf objektiven Leistung- und Kostendaten – und nicht auf subjektiven Expertenmeinungen. Fast eine Million ambulante Fälle aus rund 30 Spitälern sind in die Berechnungen eingeflossen, wobei nur die tatsächlich angefallenen Kosten berücksichtigt wurden.
Dieses System hat sich im stationären Bereich mit SwissDRG seit Jahren bewährt und muss nun unbedingt auch im ambulanten Bereich zur Anwendung kommen.

Weniger Verzerrungen

Die ambulanten Pauschalen bilden zudem ein selbstlernendes System, das sich laufend weiterentwickelt. Alle realen Kosten der Leistungserbringer fliessen in diese Weiterentwicklung ein, so dass allfällige Ungenauigkeiten rasch und transparent verbessert werden. Medizinische und wirtschaftliche Entwicklungen können so künftig zeitnah abgebildet werden, so dass Verzerrungen deutlich reduziert werden.
Und nicht zuletzt senken die ambulanten Pauschalen den administrativen Aufwand für das Gesundheitspersonal. In Zeiten des Fachkräftemangels ist es besonders wichtig, dass dieses seine wertvolle Arbeitszeit dort verbringt, wo es zählt: Bei den Patientinnen und Patienten.

  • tardoc
  • Ambulant
  • Tarifsystem
  • praxis
  • Gastbeitrag
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image

Brustkrebsscreening bald auch in Baselland

Während immer mehr Kantone Brustkrebsscreenings einführen, wird der Nutzen in Zürich hinterfragt.

image

In Bern steht die Selbstdispensation wieder zur Debatte

Der jahrelange Konflikt zwischen Apothekern und Ärzten könnte in eine neue Runde gehen: Eine kantonale Motion fordert, dass künftig alle Arztpraxen Medikamente verkaufen dürfen.

image

Zürcher Ärzte warnen: Notfall-Versorgung gefährdet

Die kantonale Ärztegesellschaft ruft die Versicherer auf, auf die Rückforderung von Notfall-Inkonvenienz-Pauschalen zu verzichten.

image

Behördenvorgaben: Ärzte beklagen überflüssigen Aufwand

Mehr Arbeitszeit für Dokumentation, weniger ärztliche Arbeitszeit bei den Patienten: Dieser Trend setzte sich auch im letzten Jahr fort.

image

FMH-Delegierte stellen sich erneut hinter das Tarifpaket – Referendum vom Tisch

Doch der Dachverband der Ärzte stellt zugleich klar, dass die vorliegenden ambulanten Pauschalen «unverzüglich» wieder überarbeitet werden müssen.

image

Plädoyer für die Teilzeit-Krankschreibung

Es sei überholt, dass man nur ganz krank oder gar nicht krank sein kann, findet der oberste Arzt Deutschlands.