«Ärzte neigen dazu, die Patienten frühzeitig zu unterbrechen»

Eine schlechte Arzt-Patienten-Kommunikation verschuldet viele Komplikationen. Michael Deppeler sieht Verbesserungspotential bereits im Studium.

, 7. November 2023 um 07:48
letzte Aktualisierung: 13. September 2024 um 09:16
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Michael Deppeler möchte eng mit seinen Patienten zusammenarbeiten und die Arzt-Patient-Beziehung in diesem Bereich verbessern. | Bild: zvg
Rund 30 Prozent der medizinische Fehler und Komplikationen gehen auf Kommunikations-fehler zurück. Was läuft schief in der Arzt-Patienten-Kommunikation? Viele Fehler passieren über Kommunikationspannen – häufig sind es Missverständnisse, Fehlinterpretationen oder Verständigungsprobleme. Als Arzt hat man oftmals vorgefertigte Krankheitsbilder oder Meinungen im Kopf und neigt dazu, den Patienten frühzeitig zu unterbrechen –im Durchschnitt bereits nach 20 Sekunden. Wichtige Informationen gehen dabei verloren, der Patient fühlt sich unverstanden und verunsichert. Im Endeffekt dauert das Gespräch dann länger, als wenn man den Patienten einfach hätte reden lassen.
Michael Deppeler ist Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Gründer der Organisation «Dialog-Gesundheit Schweiz». Diese fördert mit regelmässigen Veranstaltungen und Foren zu verschiedenen Themen den Dialog zwischen Patienten und Ärzten.
Dass der Faktor Zeit im Arzt-Patienten-Gespräch eine zentrale Rolle spielt, ist allerdings nachvollziehbar. Schliesslich sind nur 20 Minuten pro Konsultation von der Krankenkasse gedeckt. Tatsächlich ist die Angst bei vielen Ärzten vorhanden, dass der Patient endlos spricht. Das ist aber praktisch nie der Fall. Nach zwei, drei Minuten haben die meisten Patienten alles gesagt, was sie sagen wollen. Zugleich bin ich als Arzt für den Prozess im Gespräch verantwortlich, bin also gleichzeitig 'Akteur' und 'Regisseur', während der Patient in erster Linie 'Akteur' ist. Wenn ich nicht geschult bin in der Kommunikation, dann kann es vorkommen, dass ein Patient die Regie übernimmt.
..und nicht mehr aufhört zu sprechen. Was raten Sie in einem solchen Fall? Weiss man schon im Voraus, dass der Patient gerne spricht, kann man direkt bei der Konsultation mitteilen, wieviel Zeit man zur Verfügung hat – und dann mit der Begründung unterbrechen, dass ich als Arzt für das Einhalten der Zeit verantwortlich bin.
«Generell lasse ich meine Patienten jeweils kurz wiederholen, was ich ihnen erklärt habe.»
Eine Studie der Universität Zürich zeigt, dass die Länge der Konsultation nicht mit der Qualität der Kommunikation korreliert. Wie kann gute Kommunikation mit geringem Zeitaufwand gelingen? Zuerst einmal sollte man sich ein Verständnis über die Rollenverteilung verschaffen – der Patient ist Experte seines Lebens und seiner Symptomatik. Der Arzt wiederum ist für die Diagnostik, das Wissen rund um die Krankheit und die Therapie verantwortlich. Wenn man es schafft, zwischen diesen beiden individuellen Wirklichkeiten eine möglichst grosse Schnittfläche zu schaffen, liegen die Chancen gut für eine erfolgreiche Kommunikation. Zugleich muss man sich auch bewusst sein, dass es eine Herausforderung ist, eine gute, emphatische Kommunikation zu führen.
Zu dieser Herausforderung trägt sicherlich auch die zunehmende Fremdsprachigkeit der Patienten bei, oder? Sprachbarrieren sind eine der zentralen Herausforderungen in der Medizin; sie können negative Auswirkungen auf die Qualität der Behandlung haben. Oftmals nehmen fremdsprachige Patienten Freunde oder Verwandte als Dolmetscher mit; diese sind jedoch überfordert mit der Situation und übersetzen das Gesagte vielleicht nur mangelhaft. In der Folge ist der Patient schlecht informiert, versteht nicht, was mit ihm passiert und welche Behandlungen empfohlen werden. Das führt zu Frustration auf beiden Seiten. Generell lasse ich deshalb meine Patienten jeweils kurz wiederholen, was ich ihnen erklärt habe. So bin ich sicher, dass es verstanden wurde.

Tipps für eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation

  • Ruhige Umgebung schaffen
  • Rahmenbedingungen klären (Zeit / Ziele der Konsultation)
  • Sich seiner Rolle bewusst sein und sich vergewissern, dass man verstanden wird
  • Offene Fragen stellen und dem Patienten Zeit lassen
  • Aktives Zuhören und zuwenden
  • Nicht zu oft in Unterlagen blättern, dem Patienten volle Aufmerksamkeit schenken.
  • Inhalte und nächste Schritte zusammenfassen.
Das eine Extrem sind also Patienten, die nicht verstehen, was ihnen der Arzt erzählt. Demgegenüber steht der überinformierte Patient, der schon mit vorgefertigten Diagnosen in die Praxis kommt. Wie kommuniziert man mit ihm? Früher waren es Freunde und Familie, die angefragt wurden, heute ist Dr. Google zumeist die erste Ansprechperson, noch vor dem Arztbesuch. Grundsätzlich wertschätze ich diesen Weg, auch wenn er mit Dr. Google ist. So habe ich eine Basis, wo ich aufbauen, erklären, nachfragen und dann auch meine Sichtweise einbringen kann. Allerdings hat die Informationsbeschaffung Vor- und Nachteile.
Welche? Nicht selten kommen Patienten mit einer fertigen Diagnose in die Praxis und sind verunsichert. Als Arzt muss man den Patienten mit seinem Wissen ernst nehmen, ihn aber auch nach seinen Quellen fragen und darauf hinweisen, wo er seriöse Informationen findet. Ein vertrauensvolles Miteinander auf Augenhöhe ist die Basis für eine gute Beziehung zwischen Arzt und Patient.
«Grosses Potential von Künstlicher Intelligenz sehe ich zum Beispiel in der Kommunikation mit Fremdsprachigen.»
Kann eine verbesserte Arzt-Patienten-Kommunikation zur Senkung der Gesundheitskosten beitragen? Absolut. Man weiss zum Beispiel, dass die Kommunikation und die Beziehung zum Arzt einen direkten Einfluss auf die Therapietreue haben. Wenn man bedenkt, dass rund 500 Milliarden Dollar weltweit jährlich verpulvert werden, weil Patienten ihre Medikamente nicht ordnungsgemäss einnehmen, so schlummert hier enormes Einsparpotential. Ebenso kann mit der Kommunikationsweise des Arztes ein Placebo-Effekt erreicht werden.
Wie ein Arzt kommuniziert, kann also einen direkten Einfluss auf den Gesundheitszustand des Patienten haben? Eine positive, zuversichtliche Kommunikation kann zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes beitragen; es hat einen therapeutischen Effekt. Ebenso können sich die Worte einer schlechten Kommunikation beim Patienten ‘einbrennen’, ihn komplett verunsichern und Ängste schüren. Wir sprechen hier vom sogenannten Nocebo-Effekt.
Welche Konsequenzen kann eine schlechte Arzt-Patienten-Kommunikation für das medizinische Personal haben? Die Missverständnisse an den Schnittstellen kosten nicht nur Geld, sondern auch sehr viel Zeit und Nerven. Sie erhöhen sicher den Stress im Spital- und Praxisalltag und generieren viel Frustration, was wiederum Energie kostet, die für andere Dinge fehlt. Wiederkehrende Missverständnisse können auch zu Vertrauensverlust führen.
KI-Systeme wie ChatGPT liefern teils genauere Diagnosen als Ärzte. Könnte KI in Zukunft auch das Patientengespräch übernehmen? Grosses Potential von Künstlicher Intelligenz sehe ich zum Beispiel in der Kommunikation mit Fremdsprachigen: Übersetzungsprogramme liefern bereits heute sehr genaue Ergebnisse und werden in Zukunft eine noch grössere Rolle spielen. Aber auch in der Differentialdiagnose und in der Informationsbeschaffung über neueste Therapieformen, wird KI in Zukunft sehr hilfreich sein. Ob sie die Kommunikation übernehmen wird, da bin ich allerdings skeptisch.
Welche Rolle spielt die Kommunikation eigentlich im Medizinstudium? So langsam wächst die Erkenntnis, wie wichtig die Arzt-Patienten-Kommunikation ist – und dass diese geschult werden muss. Allerdings stehen wir hier noch am Anfang. Meiner Meinung nach muss Kommunikation die Basis der ärztlichen Kunst sein. So wie Anatomie, Physiologie oder Biochemie.
  • kommunikation
  • Gesundheitskosten
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