Die deutschen Krankenkassen zahlen zu wenig für Mandeloperationen. Deshalb wollen viele Hals-Nasen-Ohren-Ärzte (HNO) vorläufig nicht mehr operieren. Erst wenn die Kassen die Bezahlung «deutlich verbessern», wollen die Ärzte wieder neue Termine für Mandeloperationen bei Kindern vergeben.
Verband rief zu Boykott auf
Dieser Boykott-Aufruf stammt vom Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte (BVHNO) und der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO).
Er kommt nicht aus heiterem Himmel. Die Verbände warnten schon letztes Jahr: «Diese Eingriffe sind bereits seit längerem nicht mehr wirtschaftlich erbringbar.» Die Kosten für ambulante Operateure seien wegen der steigenden Hygieneanforderungen, wachsenden Raum-, Personal- und Materialkosten und wegen der Inflation stark angestiegen.
Kinder leiden darunter
Die HNO-Ärzte sind sich bewusst, was ihr Boykott für Kinder bedeuten kann. Bei Erwachsenen können Eingriffe an den Gaumen- und Rachenmandeln notfalls aufgeschoben werden. Bei den Kindern ist es hingegen wichtig, dass sie möglichst rasch operiert werden, damit sie nicht unter Schlafstörungen mit Atemaussetzern oder Verzögerungen der Sprachentwicklung leiden.
Ausweichen in die Türkei
Die Online-Zeitung
«Infosperber» schreibt dazu: «Die Familien warten nun noch länger, bis sie einen Operationstermin erhalten. Oder sie fliegen in die Türkei, um ihr Kind dort für umgerechnet etwa 2300 bis 3400 Franken operieren zu lassen. Im Internet sind diverse solcher Angebote zu finden.»
Trotzdem halten die HNO-Ärzte am Boykott fest. Es bleibe nichts anderes übrig, als mit einem Aussetzen der Operationen auf die katastrophale Lage aufmerksam zu machen und die Verantwortlichen zum Handeln zu bewegen. Die Bezahlung sei derzeit so schlecht, dass die Ärzte mitunter bei den Operationen sogar Geld draufzahlen würden.
Unter dem Strich nur 20 Euro Verdienst?
Derzeit zahlen die Krankenkassen für eine Mandeloperation, die rund zehn bis zwanzig Minuten dauert, 107 Euro. Etwa 174 Euro beträgt das Honorar, wenn mit Laser operiert wird.
Von der Summe müssen die OP-Miete (40 Euro), die Sterilisation der Instrumente (25 Euro), die OP-Assistenz (15 Euro) sowie weitere Posten wie die Instrumentenanschaffung, die Wartung der OP-Technik, die Haftpflichtversicherung sowie die Rufbereitschaft des Arztes nach einem Eingriff, bezahlt werden, rechnen die HNO-Ärzte vor.
Viele haben aufgehört mit Mandel-Operationen
Unter dem Strich würden dem Operateur etwa zehn bis 20 Euro vor Abzug von Steuern und Altersvorsorge als Honorar bleiben. Wegen der jahrelangen Unterfinanzierung der HNO-Kinderoperationen hätten viele Ärzte sogar aufgehört, in diesem Bereich zu operieren, klagen die Verbände.
Auch Narkoseärzte unterfinanziert?
Der Protest sei nun das letzte Mittel, um die Verantwortlichen in Politik und bei den Krankenkassen «wachzurütteln und das schleichende Sterben der ambulanten HNO-Kinderchirurgie zu stoppen.
Ihrem Beispiel könnten weitere Ärzte folgen, warnen die HNO-Fachärzte. So würden etwa die Narkoseärzte seit Jahren höhere Honorare für Ihre Leistungen fordern.
Krankenkassen halten es für «schamlos»
Die deutschen Krankenkassen haben kein Verständnis für die Ärzte. Sie hätten im Gegenzug gewisse Tarife erhöht, etwa für die plastischen Korrektur der Nasenscheidewand. Dafür beträgt das Honorar statt 261 Euro neu 304 Euro.
Der Kassenverband ist empört darüber, «wie schamlos einige Ärzteverbände versuchen, immer mehr Geld aus den Taschen der Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenversicherung herauszuholen und nicht einmal vor Drohungen gegen die Gesundheit von Kindern haltmachen.» Die HNO-Ärzte hätten in ihren Praxen durchschnittliche Erträge von 185’000 Euro.
Mandel-Operationen in der Schweiz
Auch in der Schweiz sind Mandeloperationen kein grosses Geschäft. Aber das Honorar beträgt trotzdem das Doppelte bis Dreifache der deutschen Honorare. Der Schweizer Ärztetarif Tarmed sieht für eine Operation der Gaumenmandeln ein Ärztehonorar von 125 Franken und eine Abgeltung der technischen Leistungen von 175 Franken vor, also 300 Franken. Bei den Rachenmandeln sind es rund 200 Franken.