«Erschreckend stark» sei das Kostenwachstum bei der angeordneten Psychotherapie mit 38 Prozent. So provozierend äusserte sich Santésuisse-Chefin Verena Nold in einem Interview mit «20 Minuten». «Das kann so nicht weitergehen, sonst sind die Prämien für viele Menschen bald nicht mehr bezahlbar.»
«Nicht nachvollziehbar»
Diese Aussagen sind bei der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) schlecht angekommen. Nold stelle Zahlen in den Raum, deren Quelle offen und für die FSP «nicht nachvollziehbar» sei.
Die Kosten für Psychotherapie würden seit mehreren Jahren kontinuierlich ansteigen. Und zwar wegen mehr psychischen Problemen – und nicht wegen des Anordnungsmodells. Von einer «Kostenexplosion» könne keine Rede sein.
Nur von Zusatz- zu Grundversicherung verschoben
Die FSP beruft sich unter anderem auf Zahlen der Helsana: Die Krankenkasse habe zwar festgestellt, dass sich die Kosten für Psychotherapie von der Zusatzversicherung auf die Grundversicherung verschieben würden, was mit der Einführung des Anordnungsmodells zusammenfalle. Die Kostenentwicklung entspreche jedoch der seit mehreren Jahren beobachteten Entwicklung.
Mit dem so genannten Anordnungsmodell können Psychotherapeuten ihre Leistungen auf ärztliche Anordnung direkt über die Grundversicherung abrechnen. Bis vor einem Jahr konnten dies nur Psychiater machen.
Curafutura kritisiert Physiotherapie
Auch der andere Krankenkassenverband, Curafutura, hat eine Prämientreiberin ausgemacht: Die Kosten für Physiotherapie hätten um sechs Prozent zugelegt, stellte der Verband fest. Curafutura setzt sich deshalb für einen «Tarifeingriff» bei der Physiotherapie ein, und zwar, «weil gewisse Tarifpositionen unfaires Abrechnen fördern», wie Pius Zängerle, Direktor von Curafutura, an einer Medienkonferenz sagte.
Die wahren Kostentreiber sind alle
Wie Medinside
kürzlich zeigte, kann der Kostenanstieg im Gesundheitswesen wohl kaum auf einzelne Bereiche abgeschoben werden. Die gesamten Gesundheitskosten sind im zweiten Quartal 2023 im Jahresvergleich um happige 4,2 Prozent gestiegen. Das heisst: Jede versicherte Person in der Schweiz hat von Juli 2022 bis Juni 2023 durchschnittlich rund 4'450 Franken an Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung beansprucht.
Überdurchschnittlich gewachsen sind viele Bereiche, zum Beispiel haben auch die Leistungen der Podologen mehr gekostet. Diese Leistungen können seit Januar 2022 über die obligatorische Krankenkasse abgerechnet werden.
Nur Labors kosten weniger
Einzig die Labore weisen ein rückläufiges Wachstum aus. Der Rückgang von 9,7 Prozent ist die Folge der linearen Tarifsenkung für Laboranalysen um 10 Prozent, die vor einem Jahr in Kraft getreten ist.